Jutta Nixdorf ist über Umwege zu Christie’s gekommen, wo sie heute als Managing Director die Zürcher Niederlassung leitet. Im Interview erzählt sie uns, wie das über 250-jährige Auktionshaus dem Wandel des Kunstmarktes begegnet.

Jutta Nixdorf begann Ihren Werdegang bei Christie’s 1997 und ist seit 2017 Geschäftsführerin von Christie’s Zürich. Ihr Spezialgebiet ist Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Angefangen hat sie jedoch in einem ganz anderen Bereich: im Marketing eines High-Tech-Unternehmens. Mit 30 Jahren entschied sie, noch einmal von ganz vorne zu beginnen und ein Praktikum bei Christie’s zu machen. Den Schritt weg aus dem Management zur unbezahlten Praktikantin im Kunstbetrieb habe sie sehr bewusst gemacht und sich von da aus mit viel Begeisterung und Interesse in das Gebiet vertieft.

Christie’s wurde 1766 durch James Christie in London gegründet. Das bedeutet über 250 Jahre Erfahrungen im Kunstmarkt. Christie’s stehe nicht nur für hochkarätige Kunst-Auktionen, die schwindelerregende Preise erzielen, erklärt Nixdorf, sondern vor allem für profundes Expertenwissen, gebildet durch umfassende Recherchen rund um ein Kunstobjekt über dessen Qualität, Werkgeschichte und Provenienz sowie seine Bedeutung innerhalb der Kunst- und Kulturgeschichte. Und daraus resultiere das Vertrauen in das weltweit führende Auktionshaus Christie’s.

WOMEN IN BUSINESS: Wofür steht der traditionsreiche Namen Christie’s heute?
Jutta Nixdorf: Know-how, langjährige und vertrauensvolle Verbindungen zu Sammlern aber auch Innovationsfreude und den Blick in die Zukunft. Die wichtigsten Aspekte für die Glaubwürdigkeit im Kunstmarkt sind jedoch die Recherche, die kunsthistorische Arbeit und die Transparenz.

Welches sind die wichtigsten Faktoren für den Wandel im Kunstmarkt?
Globalisierung, Digitalisierung und eine neue Sammlergeneration. Jährlich wächst unser Kundenstamm um circa 30 Prozent. Zum einen nehmen immer mehr internationale Kunden am Kunstmarkt teil. Auktionen mit Teilnehmern aus 50 Ländern aus fünf Kontinenten kommen immer häufiger vor. Zum anderen spielt die Digitalisierung eine sehr wichtige Rolle. Die Pandemie war für die Digitalisierung ein Katalysator. Glücklicherweise betrieb Christie’s schon seit 2011 seine eigene «online only auction platform» und konnte diese zügig ausbauen. Obwohl keine physischen Besichtigungen möglich waren, konnten wir einzelne Werke für über 20 Millionen Dollar verkaufen. Das hat nur funktioniert, weil das Vertrauen in Christie’s da war.

Wie gestaltet man spannende Online-Auktionen?
Zum Beispiel mit der hybriden Auktion Global One. Sie verband in Echtzeit die Auktionssäle Hongkong, Paris, London und New York, wo jeder Auktionator aktiv die Gebote der anderen Auktionsorte aufnahm. Mit dieser Ideen gelang es, eine enorme Attraktivität für virtuelle Auktionen zu kreieren, auch wenn die Spannung nicht von 800 Menschen im Auktionssaal ausging.

Planen Sie weiter mit Online-Auktionen?
Die Online-Auktionen sind nicht mehr wegzudenken und wachsen weiter. Wir hatten letztes Jahr 180 Live-Auktionen und 150 reine Online-Auktionen, wo man zu jeder Tages- und Nachtzeit seine Gebote abgeben kann. Über diese Auktionen erreichen wir die meisten neuen Käufer. Aber gleichzeitig ist die Auseinandersetzung mit dem Original eine Qualität, die wir beibehalten wollen. Deshalb gestalten wir die Auktionen hybrid und bieten zur Online-Auktion die Ausstellung an, wo der Kunde die Möglichkeit hat, die Objekte im Original auf sich wirken zu lassen. Es besteht auch die Möglichkeit, sich online an einer Live-Auktion per Livestream zu beteiligen. Man verfolgt die Auktion von zu Hause aus und erlebt die Atmosphäre und Spannung mit.

Wie sehen die Kundenbedürfnisse der jüngeren Generationen aus?
Die Millennials und Gen Z bilden prozentual einen der grössten Wachstumsbereiche. Sie kommen meistens über Luxury- Auktionen zu uns, also über Wein, Armbanduhren, Schmuck, Handtaschen. Gerade in dem Bereich halten wir sehr viele Online-Auktionen ab, was die jüngeren Generationen bevorzugen. In diesen Kategorien machen sie ihre ersten Auktionserfahrungen. Und dann sehen wir sie häufig den Übergang zu einer Live- Versteigerung in anderen Sammlungskategorien machen.

Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung ist digitale Kunst und die NFT-Technologie. Wie hält das Traditionshaus Christie’s da mit?
Digitale Kunst wird getragen von einer Community, die ihre eigenen Vorlieben hat und eigenen Gesetzmässigkeiten folgt. Sie handelt in Kryptowährungen und bewegt sich im virtuellen Raum. Um einen engen Austausch mit der Community zu pflegen, muss man sich in deren Welt begeben. Deshalb haben wir Christie’s 3.0 im Metaverse kreiert, eine reine Plattform für NFTs. In diesen Raum einzutreten ist ein spezielles Erlebnis und die Ästhetik ist stark von der Gaming-Welt inspiriert, die vielen Sammlern von digitaler Kunst vertraut ist. Letztes Jahr wurden auf Christies 3.0 87 NFTs versteigert. Auch für diesen Kunstbereich haben wir eine eigene Abteilung mit Spezialisten.

Wie wurde es von der Community aufgenommen, dass Christie’s in den digitalen Kunstmarkt einsteigt?
Die Community hat es sehr begrüsst, dass wir ein digitales Kunstwerk in einem klassischen Online-Auktionsformat angeboten haben: Beeples «Everydays: the first 5000 days». Es war das erste rein NFT-basierte Werk, das von einem internationalen Auktionshaus angeboten wurde. Es gab keinen Schätzpreis, wie sonst üblich, sondern nur ein «starting bid» von 100 Dollar. Während die Online-Auktion lief, wurde uns schnell klar, dass die Kryptowährung ein wichtiger Faktor ist für die Akzeptanz in der Community, also haben wir unserem Zahlungssystem Ethereum beigefügt. Das war matchentscheidend. Am Ende der Auktion wurde das Werk für 69 Millionen Dollar versteigert.

Was sind Exceptional Sales?
In den Exceptional Sales bieten wir die seltensten und herausragendsten Objekte aus den unterschiedlichsten Sammlungsgebieten und aus über tausend Jahren Kunstgeschichte in einer gemeinsamen Auktion an. Hier ist es interessant zu sehen, dass auch Sammler zum Beispiel von zeitgenössischer Kunst einen wichtigen Brief Einsteins interessant finden. Zahlreiche grosse Privatsammlungen wurden multidisziplinär angelegt. Ein gutes Beispiel ist Paul G. Allen, der Mitbegründer von Microsoft, er hat neben den besten Impressionisten der Welt auch Dokumente gesammelt, die die wissenschaftliche und technische Entwicklung belegen.

Können Sie uns mehr über den Verkauf der Paul G. Allen Sammlung erzählen?
Die Paul G. Allen Sammlung kann als Exceptional Sale betitelt werden. Sie bot 155 Kunstwerke – die weltbesten Werke in jeder Kategorie – aus 500 Jahren Kunstgeschichte an. Die Sammlung spielte insgesamt 1,6 Milliarden Dollar ein. Vier Millionen Menschen verfolgten diese Auktion live, mehr als 20 000 Interessenten besuchten die Vorbesichtigung im Rockefeller Center. Der zweite Teil «GEN ONE: Innovations from the Paul G. Allen Collection» vereinte Objekte, die die moderne Menschheitsgeschichte für immer verändert haben. Das sind bedeutende Manuskripte, wissenschaftliche Dokumente, technische Entwicklungen aus dem Computerwesen, den ersten Computer, Manuskripte, Astronautenanzüge und vieles mehr. Sammlungen dieser Grössenordnung gibt es nicht viele auf der Welt. Der Verkauf einer solchen ist ein sehr spezieller Moment, vor allem wenn der Erlös charitativen Zwecken zugutekommt.

War der Verkauf der Thomas and Doris Ammann Sammlung auch so ein Moment?
Absolut. Wir kannten die beiden sehr lange. Und es war eine fantastische Sammlung. Allein schon der Verkauf von «Shot Sage Blue Marilyn» von Warhol war ein unvergesslicher Moment. Das Bild hält mit 195 Millionen Dollar immer noch den Rekord für das teuerste Nachkriegskunstwerk, das je versteigert wurde. Wir haben wunderbare Bücher und Kataloge darüber herausgebracht, um die Sammler zu würdigen. Doris Ammann war über Jahrzehnte regelmässige Besucherin unserer Auktionen in New York und London, am Abend der Versteigerung lag auf dem Platz, der immer für sie reserviert war, ein Blumenstrauss zu ihren Ehren. Ich glaube, wir werden sie alle nicht vergessen.

Christie’s Das Auktionshaus Christie’s ist ein weltweit führendes Kunst- und Luxusunternehmen mit Niederlassungen in 46 Ländern sowie acht internationalen Auktionsstandorten. Es erzielte 2023 einen Umsatz von 6,2 Milliarden US-Dollar. Die Auktionen umfassen mehr als 80 Kunst- und Luxuskategorien zu Preisen von 500 bis über 100 Millionen Dollar. Christie’s hat sieben der zehn bedeutendsten Privatsammlungen versteigert, die je angeboten wurden. Es verwaltet zudem den Investmentfonds Christie’s Ventures zur Unterstützung innovativer Start-ups auf dem Kunstmarkt.

5 1 vote
Article Rating

Abo WIB in deinem Postfach Jetzt abonnieren
Die nächste WOMEN IN BUSINESS Ausgabe wird am 15.05.2025 lanciert

×
0
Would love your thoughts, please comment.x
()
x