Seit den 90er Jahren nimmt die Bevölkerung in den wichtigen Schweizer Wirtschaftszentren konstant zu. Die Corona-Pandemie könnte nun zu einer Trendumkehr führen. Am stärksten wachsen zurzeit Nachfrage und Preise für Wohneigentum in kleinen und mittelgrossen Städten, was auch Anleger hellhörig macht.

Der Wunsch, Wohneigentum zu besitzen, sich in den eigenen vier Wänden einzunisten, einen glückseligen Ort des Rückzugs und der Zuflucht zu haben, treibt Schweizerinnen und Schweizer seit jeher um. In der Nation der Mieterinnen und Mieter ist der Haus- oder Wohnungskauf eine ständige Vision, Sehnsucht, eine Art Zielstrich von jahrelangen Bemühungen und Entbehrungen. Aber Wohneigentum in der Schweiz ist – teuer!

Und das dürfte sich so schnell nicht ändern. Ganz im Gegenteil: Die Corona-Pandemie treibt die Preise für Wohneigentum noch einmal nach oben, wie der Ende Oktober erschienene «Immobilien-Report» der Beratungsfirma Wüest Partner nachweist. Der Report dokumentiert, wie die Nachfragekurve nach Wohneigentum ab den Sommermonaten 2020 eine markante Delle nach oben gezeichnet hat. Laut Wüest Partner lag die Nachfrage schweizweit im zweiten Quartal sogar über dem Niveau des bereits sehr starken Vorjahresquartals.

Was dabei auffällt und neu ist: Besonders Einfamilienhäuser sind so begehrt wie schon lange nicht mehr. Über viele Jahre interessierten sich Käuferinnen und Käufer besonders stark für Etageneigentum in urbanen Regionen, allen voran in Zürich und Genf, aber auch Basel, Bern oder Lausanne. Jetzt sind es andere, mittelgrosse bis kleine Städte, die von Kaufinteressenten ins Visier genommen werden. Olten, Solothurn, Schaffhausen, Chur, Uster oder Burgdorf heissen die aktuellen Trendziele. Genug städtisch, um über alle notwendigen Infrastrukturen zu verfügen. Genug ländlich oder provinziell, um gegenüber Zürich oder Genf viel günstigeren Wohnraum zu bieten.

Kreis der potenziellen Käufer wird kleiner

Allerding muss die Bezeichnung «günstig» auch in solchen Kleinstädten immer stärker relativiert werden. Der Markt spielt, und die Preise ziehen parallel zur Nachfrage markant an. Im zweiten Quartal 2020 sind beispielsweise für Einfamilienhäuser in Olten gegenüber der Vorjahresperiode um 3,8 Prozent höhere Tarife bezahlt worden, wie Wüest Partner errechnet hat. In Solothurn sind es sogar 4,2 Prozent. Der Schweizer Durchschnittspreis für Einfamilienhäuser erhöhte sich bis Mitte 2020 im Vorjahresvergleich um 3,3 Prozent.

Für Wüest Partner lautet die Konsequenz dieser Entwicklung, dass der Traum von den eigenen vier Wänden für viele Schweizerinnen in Schweizer in weite Ferne rücken könnte, da nicht erschwinglich. Denn in Zentren wie Zürich, Genf, Basel oder Bern sind die Preise für Einfamilienhäuser oder auch Stockwerkeigentum ohnehin nur für die wenigsten erschwinglich. Es tut sich also ein Graben auf zwischen der wohlhabenderen Schicht, die sich immer mehr in Richtung Wohneigentum orientiert und der unteren Mittelschicht, die sich mangels Kapital vorläufig nur die Mietvariante leisten kann. Befeuert wird diese Entwicklung nicht unwesentlich von der Corona-Pandemie und dem Trend zum Homeoffice. Ausserdem wurde das Tiefzinsumfeld im Zuge der Bekämpfung der wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Pandemie nochmals verlängert. «Finanzierungskosten von Wohneigentum werden auf absehbare Zeit vielerorts tiefer bleiben als die Mieten», heisst es bei Wüest Partner.

Es herrscht «Stadtflucht»

Für Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisengruppe und einer der pointiertesten Immobilienexperten im Land, kann man im Häuser- und Wohnungsmarkt sogar von einer Art Zeitenwende sprechen. «Landflucht war hierzulande lange Zeit das dominierende Thema, wenn man räumliche Bevölkerungsbewegungen näher betrachtete. Landflucht herrscht auch, wenn man Migrationsströme in einem globalen Kontext betrachtet. Da schreitet die Urbanisierung schnell voran. In der Schweiz hingegen, man glaubt es kaum, herrscht heute Stadtflucht», schreibt er auf dem Bankportal Raiffeisen Casa.

Doch wovor fliehen die Leute? Vereinfacht ausgedrückt, fehle es in den Zentren an Alternativen, so Neff. Wer heute in der Stadt lebe und zum Umzug «gezwungen» sei, weil sich zum Beispiel private oder berufliche Umstände ändern, der werde in der Stadt kaum wieder fündig, ohne deutlich mehr zu be- zahlen oder Abstriche der Wohnqualität in Kauf zu nehmen. «Und so kommt, wenn auch oft nicht erste Wahl, die Agglomeration oder Peripherie der Stadt ins Spiel.» Dort sei das Angebot flüssiger, weil in den letzten Jahren deutlich mehr Neubauten entstanden sind als in den grösseren Städten. «Und so entscheiden sich letztlich viele, der Stadt den Rücken zuzukehren, so gern auch noch sie dortgeblieben wären», so Neff.

Chance für Anleger

Eindeutig hat die Corona-Krise zu einer markanten Häufung genau solcher Fälle geführt – und dürfte dies wieder tun. Das zurzeit nicht absehbare Ende des Ausnahmezustands nährt die Sehnsucht nach schützenden Mauern, einem gemütlichen Homeoffice und der Vermeidung von Menschenmassen. Dies dürfte im Immobilienmarkt auch 2021 den stadtnahen Agglomerationen, Klein- und mittelgrossen Städten mit soliden Infrastrukturen Auftrieb geben und die Preisspirale weiter nach oben drehen. Für gewiefte Anleger vermutlich auch eine Chance, sich ein Objekt mit voraussichtlich anhaltender Wertsteigerung zu sichern.

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