Verena Pausder, Unternehmerin und eine von Deutschlands erfolgreichsten digitalen Pionieren, engagiert sich für die digitale Transformation in der Bildung. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, in dem sie über wichtige Weichenstellungen für die Zukunft spricht.
Politikerinnen, Wirtschaftsführer und Kaffeesatzleser rätseln darüber, welche längerfristigen Auswirkungen das Coronavirus auf unser Leben hat. Wird es im Herbst und Winter wieder Lockdowns geben? Oder kehrt unser Leben bald in gewohnte Bahnen zurück? Werden wir einen bewussteren Umgang mit der Natur pflegen? Oder wird, sobald ein Impfstoff gefunden worden ist, wieder gereist werden wie früher?
Verena Pausder gibt die Krise, sosehr sie auch ihr Leben erschwert hat, paradoxerweise gerade Rückenwind. «Klar, Arbeit, Homeschooling und Haushalt unter ein Dach zu bringen, das war für uns auch sehr anstrengend», sagt sie. Parallel zur Betreuung ihrer drei Kinder im Alter von 3, 10 und 12 Jahren schrieb sie an ihrem Buch «Das neue Land», das Anfang September erschienen ist. Es berührt all die Themen, die sie aus Erfahrung kennt: Es geht darum, wie man Innovationen herbeiführt, wie man Bildung neu denkt, um Start-ups und Digitalisierung, um Chancengerechtigkeit und um Klimaschutz. Verena Pausder denkt in grossen Zusammenhängen.
Mit der Corona-Krise stand plötzlich genau das eine Thema zuoberst auf der Agenda, auf das sie seit Jahren fokussierte: die digitale Bildung von Kindern. Homeschooling bedeutete, den Unterricht von einem Tag auf den andern auf digital umzustellen. Sosehr Deutschland für seinen Umgang mit der Pandemie gelobt wird, Pausders Bilanz ist bezüglich Schule sehr durchzogen: «Viele Schulen waren schlecht aufs Homeschooling vorbereitet, Lehrer, Eltern und entsprechend Kinder überfordert. Keine Geräte, kein Wlan, keine Hotspots, die Lehrer nicht oder zuwenig ausgebildet», sagt sie.
Pausder wirkt während unseres Skype-Gesprächs so alert wie an ihren öffentlichen Auftritten und in dem Video, das auf ihrer Website zu sehen ist. Die 41-Jährige, die in eine deutsche Textilunternehmerfamilie geboren wurde, weiss, wie sie Themen, die ihr unter den Nägeln brennen, anpacken muss, damit sie Gehör findet. Sie twittert, schreibt Artikel auf LinkedIn mit konkreten Lösungsvorschlägen, gibt Interviews und ist gefragte Podiumsteilnehmerin.
Als Unternehmerin hat sie Erfolg, als sie noch in ihren Dreissigern war: 2012 gründete sie die Firma «Fox & Sheep», die Apps für Kinder im Vorschulalter entwickelt, und verkaufte das Unternehmen 2014 für mehrere Millionen Euro an den Spielzeughersteller HABA. Als dessen Geschäftsführerin eröffnete sie dann in verschiedenen Städten Deutschlands Digitalbildungsstätten, in denen Kinder Programmieren und Robotics lernen. Ausserdem ist sie Mitinitiatorin von «Start-up Teens», einer Non-Profit-Initiative, die Schüler und Schülerinnen fürs Unternehmertum begeistern soll. 2017 gründete sie dann den Verein «Digitale Bildung für alle», um Kindern mit verschiedenen Initiativen chancengleichen Zugang zur digitalen Bildung zu ermöglichen.
Kurz bevor sie mit ihrer Familie in die Sommerferien an den Tegernsee verreiste (mit Arbeit, Laptop und Agenda im Gepäck), verschaffte sie sich in der Zeitung «Die Welt» im Juli nochmals Luft: In einem Artikel rief sie die Verantwortlichen der Bildungspolitik dazu auf, nicht weiter einfach nur über Schutzmasken zu reden, sondern jetzt die Konzepte für den reibungslosen digitalen Unterricht zu entwickeln. «Ich appelliere dringend, jetzt nicht ins Sommerloch zu verfallen, sondern einen Plan zu entwickeln», schrieb sie.
Verena Pausder geht es aber nicht allein um Krisenbewältigung, sondern um Grundsätzliches: «Ich möchte nicht, dass unsere Kinder dereinst die verlängerte Werkbank der Welt sind, sondern die Innovatoren, die Gestalter der Zukunft. Aber um das sein zu können, müssen wir sie entsprechend ausbilden.»
Bevor Sie sich für digitale Bildung engagierten, versuchten Sie, eine Salatbar-Kette zu gründen, sie haben eine Sushi-Bar eröffnet und arbeiteten als Marketingleiterin einer Onlineplattform für Partnervermittlung. Wo ist der gemeinsame Nenner?
Nach meinem Studium wollte ich zunächst verschiedene Dinge ausprobieren. Der Schritt in die Online-Partnervermittlung erwies sich dann als zentral in meiner Biografie. Er war die erste Berührung mit der digitalen Welt. Da wusste ich, dass ich in dieser Branche bleiben wollte. Sie erschien mir als zukunftsweisende Welt ohne nationale Grenzen, ein Feld, wo ich immer dazulernen könnte. Ich hatte einen fantastischen Chef und lernte im Schnelldurchlauf digitales Marketing. Das war der Startschuss für alles, was danach kam.
Wie kamen Sie zu Ihrer Unternehmensidee? War es persönliche Betroffenheit oder gingen Sie strategisch-analytisch vor und suchten bewusst nach einem unbeackerten Feld?
Seit ich 20 bin, habe ich stets etwa zehn Ordner zu unterschiedlichen Geschäftsideen in meinem Regal stehen. Es sind nicht einfach Ideen, sondern ich gehe strategisch vor und recherchiere immer viel, bis ich herausfinde, was sich umsetzen lässt. Mit dem Thema Onlinelernen kam ich während meiner Tätigkeit für die Online-Lernplattform «scoyo» in Kontakt. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass eine gute Bildung einem Türen öffnet, und fragte mich: Wie kann man möglichst vielen Kindern diese Türen öffnen?
Heute sitzen Sie in digitalen Beratungsausschüssen der deutschen Regierung, der Lufthansa und der Comdirect Bank. Wie schafft man das als 41-Jährige?
Zunächst einmal: Wer viel tut, wird auch gehört. Mir wird häufig die Frage gestellt, was treibt dich nur an, abends um 23 Uhr noch einen LinkedIn-Artikel zu schreiben. Meine Antwort: Ich kann einfach nicht anders! Ich mache das nicht aus Karrieregründen, sondern weil ich finde, dass, wenn man gesund ist, beruflichen Erfolg und das Privileg hat, in einem sicheren System zu leben, man verpflichtet ist, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Ich möchte nicht nur mein eigenes Leben optimieren. Ausserdem habe ich keine Angst, ins kalte Wasser zu springen. Wenn mich jemand fragt, ob ich im Beirat der digitalen Staatsministerin sein möchte, dann denke ich nicht: Bin ich dafür genügend qualifiziert? Sondern ich packe die Chance. Mein Motto ist, lieber in etwas zu grosse Fussstapfen treten und reinwachsen, als sich zurechtstutzen lassen.
Nach diesem Prinzip verfuhr Verena Pausder auch, als sie 2016 vom World Economic Forum (WEF) zum «Young Global Leader» gewählt wurde. Im ersten Moment war sie erstaunt, doch dann wollte sie sich auch selbst beweisen, dass sie den Titel verdient. «Vielleicht hätte ich ohne den Titel die letzten vier Jahre nicht so den Turbo gezündet», sagt sie.
Ihr Netzwerk nutzt sie heute, um sich für Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern einzusetzen. Als sie im vergangenen März in der Zeitung las, dass eine deutsche Unternehmerin gesetzlich vorgeschrieben ihren Vorstandsposten aufgeben musste, weil sie in die Babypause ging, konnte sie es nicht fassen. Sie verfasste einen Artikel auf LinkedIn, in welchem sie auf den Missstand hinwies, erhielt sofort Echo von Anwälten und Unternehmerinnen, in denen sie Mitstreiter fand. Sie rief die neue Initiative «#stayonboard» mit ins Leben, und eine gesetzliche Änderung ist jetzt bereits in Reichweite.
Chancengleichheit hat auch mit Vorbildern zu tun. Ihre Mutter und ihr Vater sind beides erfolgreiche Unternehmer. Was raten Sie Frauen, die keine solche Role Models in der Familie haben? Wie geht man vor, wenn man ein Unternehmen gründen will?
Am besten sucht man sich einen Mentor. Und dann muss man sich früh im Klaren werden, was man mit der Gründung erreichen will: Will ich damit auch Arbeitsplätze schaffen, oder geht es mir darum, Beruf und Familie miteinander zu verbinden und von überallher arbeiten zu können? Je nachdem muss die Idee entsprechend gross eingesteuert werden, und die Finanzierung muss gut durchdacht sein.
Mit den heutigen Möglichkeiten der digitalen Vernetzung erscheint es einfacher, eine Geschäftsidee umzusetzen. Ein Irrtum?
Heute verfällt man tatsächlich leicht dem Irrglauben, dass es eine einfache Sache ist. Man hat schnell einmal 5000 Follower auf Instagram, denen man ein Produkt verkaufen kann. Aber es gibt natürlich Millionen von Leuten, die ebenfalls 5000 Follower haben! Um nachhaltig erfolgreich zu sein, gehören harte Arbeit, das richtige Team und Timing dazu. Man darf nicht darauf vertrauen, dass man durch die sozialen Medien irgendwie automatisch erfolgreich wird.
Was halten Sie für die wichtigsten Eigenschaften, wenn man reüssieren will?
Resilienz: Man muss ein dickes Fell haben. Das müssen sich ganz besonders Frauen antrainieren. Auch ich bin nicht damit geboren, sondern musste sehr an mir arbeiten. Mut und die Leidenschaft fürs Thema sind wichtig. Man muss sich fragen, würde ich auch in fünf Jahren noch um vier Uhr morgens aufstehen, um daran zu arbeiten? Ohne die Leidenschaft gerät man in die Sinnkrise. Aber die Grundvoraussetzung ist immer noch: Fleiss und Disziplin. Sie sind das Fundament, auf dem alles andere aufbaut.
Woher kommt Ihre Motivation, sich weniger unternehmerisch, sondern vermehrt sozialpolitisch einzusetzen?
Ich spüre in mir eine gewisse Ungeduld. Die Frage ist, wie wir unsere Zukunft in Europa sehen, und welche Industrien wir in dieser Zukunft beherrschen, wie wir unsere Kinder ausbilden müssen, welche Rolle die künstliche Intelligenz spielen soll. Bei alldem denke ich mir manchmal, worauf warten wir eigentlich? Die Zeit läuft uns langsam davon, denn andere Länder sind ja nicht untätig. Wenn uns diese Pandemie etwas gelehrt hat, dann, dass wir von der Erkenntnis auf die Umsetzungsebene kommen müssen.
Verena Pausder hat die Corona-Krise den Ball zugespielt.
Das Virus wirke wie ein Katalysator, sagt sie. «Endlich wird bei Problemen, die eigentlich schon lange offen dalagen, aber wegen fehlender Dringlichkeit auf die lange Bank geschoben wurden, wirklich hingeschaut», sagt sie. «Unsere Gesellschaft brauchte wohl diesen Ruck.»
Über Verena Pausder
Verena Pausder wurde 1979 als älteste Tochter in die Bielefelder Textilunternehmerfamilie Delius geboren. Mit 22 Jahren schloss sie ein Finanz- und Controllingstudium an der Hochschule St. Gallen (HSG) ab. Nach leitenden Positionen in einer Online-Partnervermittlung und bei der digitalen Lernplattform «scoyo» gründete sie 2012 mit «Fox & Sheep» ihr eigenes Unternehmen. 2016 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum zum «Young Global Leader» ernannt, 2018 in die «Forbes»-Liste «Europe’s Top 50 Women in Tech» aufgenommen. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.