Wäre Lebensmittelverschwendung ein Land, es wäre der drittgrösste Produzent von Treibhausgasen weltweit. Die promovierte Biologin Olga Dubey will dem etwas entgegensetzen und arbeitet mit ihrem Start-up AgroSustain an natürlichen Produkten, die Früchte und Gemüse länger haltbar machen.

Da, schon wieder! Ein Blick in die Gemüseschublade – und das Nachtessen wird umgeplant. Anstatt Pasta mit Zucchettisauce und einen grossen Gurkensalat gibt es Pasta mit Tomatensauce und einen kleinen Gurkensalat. Die Zucchetti und die Gurke haben sich im Kühlschrank verbrüdert und präsentieren sich an einem Ende matschig (die Gurke) und mit einem grauweissen Pelz gescheckt (die Zucchetti). Also heisst es, grosszügig rüsten und ab in den Grünkübel mit dem verdorbenen Gemüse.

Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird jährlich etwa ein Drittel der weltweiten Lebensmittelproduktion im Wert von 1,66 Billionen US-Dollar verschwendet. Die Lebensmittelverschwendung, die bei der Lagerung und dem Transport schnell verderblicher Lebensmittel entsteht, ist zu einer der grössten Herausforderungen für die Lebensmittelindustrie geworden. Der WWF schätzt, dass in der Schweiz jährlich 2,8 Tonnen Lebensmittel im Kübel statt im Konsumentenmagen landen, das sind 330 Kilo pro Person. Für 40 Prozent der Lebensmittelverluste sind die Endverbraucher verantwortlich. Lebensmittelverschwendung findet aber an verschiedenen Punkten entlang der Wertschöpfungskette statt, nicht nur bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Auf die Landwirtschaft entfallen laut WWF Schweiz 11 Prozent, auf die Verarbeitung 30 Prozent, gefolgt von Gastronomie (12 Prozent) sowie Gross- und Detailhandel (7 Prozent).

Ein Team gegen Foodwaste
Olga Dubey und ihr Team bei AgroSustain haben sich dem Kampf gegen Foodwaste verschrieben. Das Start-up, das Olga 2018 zusammen mit ihrem Mann Sylvain gegründet hat, beschäftigt mittlerweile 14 Leute in der Forschung, der Produktion und dem Verkauf. Das junge Unternehmen ist vor Kurzem nach Renens gezogen, wo das Team in luftigen, hellen Räumen arbeitet – unter dem wachsamen Auge von Roxy, der kleinen Hündin der Dubeys, die in ihrem resoluten Wesen neben 50 Prozent Spitz wohl auch etwa 30 Prozent Officemanagerin vereint.

Im ersten Raum riecht es nach Bananen. Nach überreifen Bananen. Auf Tabletts liegen artig aufgereiht Bananen, die obere Reihe braun bis braunschwarz, die untere gelb. Im Minigewächshaus aus Plastik daneben stehen Bananenblätter in Glasflaschen. Auf der linken Seite braun und verschrumpelt, auf der rechten grün und saftig. Ein Mitarbeiter trägt ein Blech voller Kakaoschoten vorbei, die er gerade präpariert hat. Es wird sich später wohl dasselbe Bild präsentieren: Die nicht mit dem Produkt von AgroSustain behandelten Früchte verderben schneller als die behandelten. Im Produktionsraum – ein Reinraum, der nur mit entsprechender Schutzkleidung und gut gewaschenen Händen betreten wird – stehen Kübel mit der fertigen Lotion für den Transport zu einem Kunden bereit. Eine blitzblank geputzte Maschine, ähnlich einem Teigrührwerk, steht prominent im Raum. Hier wird das Produkt auf Pflanzenölbasis hergestellt, es mutet in Aussehen und Textur wie eine Mayonnaise oder eine Lotion an. Die genaue Zusammensetzung bleibt geheim.

Auf die Kunden gehört, neues Produkt entwickelt
Ursprünglich, so Olga Dubey, hätten sie ein Fungizid auf den Jahre bis zur Zertifizierung. «Für ein Start-up, wo sich drei Monate schon wie ein Jahr anfühlen, ist das keine Option. Kaum ein Investor ist bereit, ein solches Risiko mit Agritech einzugehen.» Dann kam Corona, das Geld wurde knapp und die Investoren zeigten sich noch risikoscheuer. Nach diversen Kundengesprächen begann AgroSustain schliesslich mit der Entwicklung eines Produkts, das die Frische von Lebensmitteln verlängert. Giovanelli Fruchtimport, ein Unternehmen, das in der Deutschschweiz exotische Früchte vertreibt, ist heute einer der wichtigen Kunden von AgroSustain. Seit März 2021 ist das Frauenfelder Unternehmen, das seit 1906 Früchte und Gemüse aus aller Welt importiert, strategischer Partner von AgroSustain. Gerade hätten sie einen Vertrag über mehrere Millionen Franken mit einer grossen französischen Firma unterzeichnet, die ebenfalls im Früchtehandel tätig sei, sagt Dubey. Den Namen verrät sie nicht, es gebe viel Vertraulichkeit in diesem Business, fügt die Unternehmerin mit einem verschmitzten Lächeln an.

Die drei wichtigen Nein
Potenzielle Kunden sind zum Beispiel Produzenten mit einem eigenen Verpackungsbetrieb. Sie können die Lotion direkt nach der Ernte auf ihre Produkte aufbringen, etwa indem sie sie besprühen oder in einem Bad behandeln. Das können Äpfel sein, Bananen, Mangos, Avocados. Produzenten von Südfrüchten verkaufen ihre Ware meist nach Volumen und sind bis zur Auslieferung für das Produkt verantwortlich. Es gilt die einfache Gleichung: Volumen gleich Geld. Schrumpfen zum Beispiel die Mangos auf dem Transportschiff nach Rotterdam, verliert der Produzent einen Teil seiner Einkünfte. Distributoren wiederum arbeiten unter enormem Druck. «In diesem Verteilzentren geht es zu wie in einem Ameisenhaufen. Alles ist durchorganisiert, alles muss schnell gehen. Mit unserem Produkt helfen wir den Verteilern, die Qualität länger zu erhalten, was wiederum den Druck etwas reduziert», sagt Dubey. Der Retailer wiederum will, dass Früchte und Gemüse im Laden frisch und schön aussehen, und das möglichst lange. Die drei wichtigen Nein in der Argumentationskette für den Kunden: Nein, man sieht nicht, dass die Produkte behandelt wurden. Nein, man riecht nichts. Nein, die Textur verändert sich nicht. «Gibt es nur ein einziges Ja, hast du den Kunden verloren», gibt Dubey zu bedenken. Noch ein Pluspunkt: Da die Beschichtung auf der Basis von Pflanzenöl hergestellt wird und daher nicht wasserlöslich ist, geht sie zu Hause auch durch Abwaschen nicht gleich verloren.

Tausche Pipette gegen PowerPoint
Aber wieso tut sich Olga Dubey dieses stressige Start-up-Leben überhaupt an? Die 32-Jährige lacht. «In der Forschung verbringst du viel Zeit im Labor mit wenig sozialer Interaktion.» Pipettieren könne sie nach all den Jahren im Labor nun wirklich gut, sagt sie schelmisch. Aber für ihr Business gelernt habe sie in der Einsamkeit des Labors vor allem eines: «Du musst die Dinge zu Ende denken, wenn du nicht ein paar Jahre deiner Arbeit verlieren willst. Genau das brauche ich auch als Unternehmerin.» Rückblickend sei sie wohl nicht sehr glücklich gewesen, so allein im Labor. Seit sie als Unternehmerin jeden Tag mit Leuten zu tun habe, viele Gespräche führe, präsentieren und überzeugen müsse, werde sie immer zufriedener. Der Tatsache, dass sie aus Russland für das Doktorat in die Schweiz an die Uni Lausanne gekommen ist, verdanke sie wohl ihrer Resilienz. «Im Gespräch mit anderen Kolleginnen und Kollegen, viele von ihnen aus Lateinamerika, entdecke ich immer wieder einen gemeinsamen Nenner: Sich in einem fremden Land einzuleben, zu etablieren, immer wieder kleinere und grössere Hürden nehmen zu müssen – das macht einen stark. Das hilft mir auch im Businessalltag. Ich habe gelernt dranzubleiben und mich durchzusetzen.»

Nachhaltigkeit für Generationen
Olga Dubey betont, dass der Erfolg von AgroSustain Teamarbeit sei. Ihr Mann Sylvain, ebenfalls promovierter Biologe, ist CTO des Unternehmens. Mit Frits Vranken als CCO und François Fidanza als CFO ergänzen zwei Männer mit grosser Businesserfahrung das Führungsteam. Und wie ist es so, mit dem Ehemann im gleichen Unternehmen zu arbeiten? Olga Dubey grinst: «Das ist ok. Ich habe mein Büro, er hat seins. Im gleichen Büro könnten wir nie arbeiten, das wäre wohl ein Desaster.» Sie hätten die Verantwortlichkeiten sehr früh getrennt. Sie stehe als CEO für alle sichtbar vorne, er sei verantwortlich für die Forschung und Entwicklung. Keiner rede dem anderen rein. «Und Zuhause sind Gespräche über die Arbeit tabu.» Dass für Businesstalk keine Zeit bleibt am Abend, dafür dürfte auch Richard, geboren Anfang 2022, sorgen. Unternehmensluft schnuppert er schon regelmässig, etwa wenn er beim Vater bei einer Besprechung auf dem Knie sitzt. Olga wünscht sich, dass ihr Kind naturnah und im Kontakt zu Tieren aufwächst. «Wer in und um die Natur herum erzogen wird, fühlt sich automatisch verantwortlich für seine Umwelt.» Nachhaltig zu leben könne man nicht einfach aus Büchern lernen, es brauche die persönliche Verbindung. «Und wenn er dann seine verrückten Eltern dauernd über Foodwaste sprechen hört, bleibt vielleicht noch zusätzlich etwas hängen.» ★


 

AgroSustain
Olga Dubey wird 1990 im russischen Kasan geboren. Sie studiert Biologie, macht ihren Masterabschluss am Max Plack Institut in Deutschland. Für ihr Doktorat wechselt sie an die Universität Lausanne. Ziel ihrer Doktorarbeit ist es, ein pflanzliches Mittel gegen Schädlinge zu finden. Im Jahr 2018 gründen Olga und Sylvain Dubey, beides promovierte Biologen, AgroSustain. Das Unternehmen entwickelt natürliche Lösungen zum Schutz von Nutzpflanzen, Obst und Gemüse und reduziert damit Lebensmittelabfälle und Treibhausgasemissionen. Die von den Forschern entwickelte biologische Lösung, eine natürliche Beschichtung auf Pflanzenölbasis, kann die Frische von Früchten und Gemüse um mehr als 20 Tage verlängern. Das Start-up erhielt zahlreiche Unterstützungen in der Höhe von insgesamt 4,8 Millionen Franken, etwa von BRIDGE, Venture Kick, Horizon2020. Zusätzlich sicherte sich AgroSustain über drei Investitionsrunden mehr als fünf Millionen Franken. Das Unternehmen mit Sitz in Renens oberhalb von Lausanne hat 14 Mitarbeitende. Mehr erfahren

Foto: www.agrosustain.ch

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