Jessica Farda entdeckte in den Ferien am Strand ihre Faszination für Algen. Was anfänglich als klebriges Material an ihrer Jeans haftete, nahm bald in der WG-Küche durch Experimentieren Form an. Und zwar die einer Bio-Plastikfolie. Der Grundstein für ihr heutiges Tech-Start-up Noriware war gelegt.

Drei Jahre ist es her seit der Algenschwemme am Strand in den Ferien. Jessica Farda war damals 22 Jahre alt und hatte sich soeben dazu entschlossen, vom Betriebswirtschafts-Studium zu den Fachrichtungen Internationale Beziehungen, Politik und Wirtschaft zu wechseln. Von Chemie hatte sie genauso wenig eine Ahnung wie vom Gründen eines Start-ups. Eigentlich habe sie nicht einmal gewusst, was ein Start-up ist, gibt sie unumwunden zu, und habe auch nicht im Sinn gehabt, ein Business aus den Algen zu machen. Der Grund, mit den Algen zu experimentieren, entsprang einem grundsätzlichen Interesse an schnellwachsenden, erneuerbaren Rohstoffen, an Kreislaufwirtschaft und dem Wunsch, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Dazu kam die pure Lust am Ausprobieren und Machen. «Einfach machen» ist ein Grundsatz, den man Jessica Farda nicht erklären muss. Die Jungunternehmerin sprüht vor Energie und erzählt schnell und begeistert, wie es zur Gründung des Tech-Start-ups Noriware gekommen ist.

WOMEN IN BUSINESS: Braucht die Welt noch mehr Plastik oder wäre es nicht sinnvoller, Alternativen dafür zu finden?
Jessica Farda: Plastik macht Sinn, er verhindert beispielsweise Foodwaste. Wir brauchen Plastik für den Schutz von kurzlebigen Produkten. Langlebige Produkte wie Kleider brauchen keine Plastikverpackung. Es gibt einen riesigen Trend zu Papier und Karton. Hier liegt das Problem bei der Waldrodung. Algen haben den Vorteil, dass sie unglaublich schnell wachsen – gewisse Arten bis zu einem Meter am Tag. Dafür brauchen sie kein frisches Wasser, keinen Dünger und kein Ackerland. Algenfarmen sind unproblematisch und stehen nicht in Konkurrenz zur Landwirtschaft.

Zwischen der Idee, die Algen zu nutzen bis zur fertigen Folie liegt ein langer Weg. Wie sahen die ersten Schritte aus? Zuerst begann ich viel über Algen zu lesen. Sie sind der ideale Bio-Rohstoff. Deshalb habe ich nach einer Applikation gesucht, die Algen beinhaltet und in meinem Interessensbereich liegt. Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf ein Paper gestossen, in dem beschrieben stand, wie man Polysaccharine, das sind natürliche Polymere, aus den Zellwänden der Algen extrahieren und damit Verpackungsmaterialien herstellen kann.

Wie haben Sie diese Theorie ohne Labor und Chemie-Kenntnisse umgesetzt?
Nach dem Lesen von unzähligen, wissenschaftlichen Abhandlungen über Chemie und Materialwissenschaften habe ich mir alle nötigen Materialien wie Algenextrakt und Weichmacher nach Hause bestellt und damit in der Küche experimentiert.

Hatten Sie keine Zweifel, ob das der richtige Weg ist?
Eigentlich nicht. Ich dachte, ich kann das sicher. Zu versagen war mir egal. Ich hatte auch keine Angst, irgendwelche Firmen anzuschreiben, oder irgendwo hinzustehen und zu sagen, ich habe diese Idee, was hält ihr davon, kann mir bitte jemand helfen dabei? Beispielsweise habe ich die Autoren der Papers auf LinkedIn angeschrieben und mit ihnen Calls vereinbart. So gelang es mir, einen eigenen Research Proposal zu schreiben.

Würden Sie sich als besonders smart bezeichnen?
Nein gar nicht. Ich sehe, von welchen Leuten ich umgeben bin. Die sind smart! Was ich gut kann, ist einfach machen. Es war kein komplexer Research Proposal, den ich da geschrieben habe. Man muss nicht total smart sein und Hochstehendes leisten, man muss sich einfach trauen, es zu machen und dann abzuschicken.

Wie ist es weitergegangen?
Viele Forschungsinstitute, die ich angeschrieben hatte, wiesen mich ab, weil ich keine Chemikerin oder Materialwissenschaftlerin war. Im Herbst 2021 habe ich meinen Research Proposal an das Materials Departement der ETH geschickt. Sie zeigten Interesse und offerierten mir eine ETH- Kooperation für die Grundlagenforschung. Die nächste Kooperation fand mit der Fachhochschule Nordwestschweiz statt, wo ich meinen Co-Founder Stefan Grieder kennenlernte. Er ist Ingenieur, beziehungsweise Maschinenbauer mit Vertiefung in Kunststofftechnik.

Wie erfolgte die Gründung des Start-ups und dessen Finanzierung?
Für die Gründung des Start-ups habe ich mich beim Start-up- Programm der HSG beworben, das mit 4000 Franken dotiert ist. Das beinhaltet Kurse in Funding, Legal Advice, jede Woche Workshops und man lernt zu pitchen. Einen kleinen Betrag erhielten wir als Startprojekt von Innosuisse, um mit dem Institut für Kunststofftechnik zu kollaborieren, gefolgt von höheren Forschungsgeldern vom Kanton Aargau. Im Mai 2023 schlossen wir die erste Finanzierungsrunde mit dem Investor Ertan Wittwer über eine Million Franken ab. Im Dezember darauf erhielten wir zusätzlich 1,4 Millionen Fördergelder von der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung Innosuisse.

Seit der Idee am Strand haben Sie insgesamt 2,7 Millionen Franken Kapital gesammelt. Was haben Sie damit angefangen?
Wir haben in Lupfig AG auf 450 Quadratmetern ein Labor eingerichtet und sind daran, ein stetig wachsendes Team aufzubauen. Aktuell haben wir acht Mitarbeitende: sechs Entwickler und zwei Businessleute. Zudem ist unser erstes Produkt marktfähig: eine teilwasserlösliche Folie, die auf viele Arten einsetzbar ist. Sie ist auf die herkömmliche Produktionstechnologie skalierbar. Die Haupttechnologie werden wir im Jahr 2026 lancieren: Ein thermoplastisches Granulat aus Algen, das in verschiedene Produkte geschmolzen werden kann und somit beliebig skalierbar ist.

Wie empfanden Sie Ihre Verhandlungsposition als junge Unternehmerin?
Ich war sehr jung und hatte keine Arbeitserfahrung, keinen Abschluss, war immer noch im Studium. Ich habe alle Gespräche geführt, mit Professoren, Investoren, Kunden. Das war sehr schwierig. Zuerst waren alle beeindruckt von der Geschichte, doch wirklich ernst genommen hat man mich erst nach zweieinhalb Jahren. In der Forschung traf ich schnell auf Interesse, in der Wirtschaft ging es sehr lange, bis die Leute sahen, dass ich nicht nur rede, sondern auch umsetze. Was ich dabei gelernt habe: Man muss immer auf der Führungsebene rein und direkt die Entscheidungsträger für ein Produkt oder eine Idee begeistern.

Wie ist es Ihnen in der Zeit generell ergangen?
Ich habe mich auf unglaublich viel Stress und Arbeit eingelassen und viel geopfert. Neben der Gründung des Unternehmens musste ich mein Studium abschliessen. Ich kam extrem unter Zeitdruck, weil ich wusste, dass im Januar die nächste Finanzierungsrunde anstand und die wollte ich auf keinen Fall im Studentenstatus angehen. Es gelang mir, die Abschlussarbeit mit vielen Tränen und viel zu wenig Schlaf auf den letzten Drücker abzugeben. Nebenbei schrieben wir den Bericht für Innosuisse, ich ging auf Geschäftsreisen, drehte eine Netflix-Dokumentation, hatte Auftritte im Hallenstadion vor 1000 Leuten, an der Olma, Ted Talks und unsere Büroeröffnung mit 100 Leuten. Ich war am Limit.

Das ist viel. Was ist Ihr Antrieb?
Die Idee. Sie macht so viel Sinn. Ich liebe es, die Leute zu begeistern für unsere Ideen und Produkte. Entrepreneurship ist für mich das Grösste. Die Algen treiben mich ebenfalls an. Sie sind zur Obsession geworden. Ihre verschiedenen Formen und Farben. Sie wachsen so schnell und sind so hübsch. Immer wenn ich sie in den Ferien sehe, bin ich von neuem fasziniert davon, dass man mit einem so tollen Rohstoff so viele Probleme lösen kann!

Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit der Partnerfirmen und Investoren aus?
Als Cleantech-Firma arbeiten wir nur mit nachhaltigen Partnern zusammen. Darin sind wir kompromisslos. Um nicht Teil von Greenwashing zu werden, verkaufen wir unser Granulat nur an Partner, die mit uns einen Entwicklungsschritt in eine grüne Zukunft machen wollen. Das gilt auch für unsere Investoren. Wir haben schon Investoren abgelehnt, die Firmen in ihrem Portfolio hatten, die nicht mit unseren Werten vereinbar sind.

Welches sind eure Werte?
Wir wollen herkömmlichen Plastik reduzieren und ein Bewusstsein für die Umwelt und Bio-Plastik schaffen, indem wir Innovationen fördern und die Produkte der Spitzenforschung aus der Materialwissenschaft auf den Markt bringen. Dazu gehören: offene Kommunikation, Transparenz und Ehrlichkeit.

Und wie sehen die Ziele von Noriware aus?
Ich hoffe, dass wir über die Verpackungsbranche hinaus einen Impact haben können. Wir wachsen sehr schnell und haben unzählige Ideen für unglaublich viele Möglichkeiten.

Sie wurden eben bei Forbes DACH 30 under 30 gelistet. Welches sind ihre weiteren, persönlichen Ziele?
Ich will die Industrie aufmischen, die unseren Planeten verschmutzt und einen globalen Impact haben, der quantifizierbar ist. Das ist mein Ziel. Mir ist es noch nie darum gegangen bei 30 under 30 dabei zu sein. Ich bin nicht die Person, die gefeiert werden will, sondern finde meine Erfüllung im Team und beim gemeinsamen Entwickeln unserer Produkte. ★


Jessica Farda ist 1998 im Kanton Aargau geboren und aufgewachsen.
Sie studierte zuerst an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft und wechselte dann zu Internationale Beziehungen, Politik und Wirtschaft. 2021 gründete sie zusammen mit dem Co-Founder Stefan Grieder das Start-up Noriware, das Bioplastik auf Algenbasis entwickelt und für die Herstellung von Produkten skalierbar macht.
2023 wird sie bei Forbes DACH 30 under 30 gelistet.

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