Führungskräfte stehen unter öffentlicher Beobachtung. Das gilt gleichermassen für Frauen wie Männer. Doch werden an beide Geschlechter dieselben Massstäbe angelegt? Die Diskussion darüber ist aktueller denn je.
Die Presse streift sich keine Samthandschuhe über, wenn über Wirtschaftsgrössen geschrieben wird – besonders, wenn sie in einen Skandal verwickelt sind. Die Schlagzeilen zur Post-Chefin Susanne Ruoff, deren Unternehmen mit Buchhaltungstricks die Postautos subventionieren liess, lauteten beispielsweise so: «‹Miss Perfect› wankt», «Reformerin ohne Netzwerk» oder «Der Fall der Businessfrau». Nicht, dass die Medien bei männlichen Pendants unkritisch berichten würden. Aber die Titel über den Ex-Raiffeisen Chef Pierin Vinzenz, gegen den ein Strafverfahren wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung läuft, klingen irgendwie anders: «Aufstieg und Fall eines Starbankers», «Pierin Vinzenz war ein fabelhafter Geschichtenerzähler» oder «Der Schatten des allmächtigen Pierin Vinzenz». Schwingt da nicht doch etwas Bewunderung mit?
Stereotypen auf den Redaktionen
Eine Analyse des «Tages Anzeigers» rund um die Stadtratswahlen in Zürich kam zum Schluss, dass Journalistinnen und Journalisten bei den Kandidatinnen beispielsweise eher die häusliche Situation thematisierten, bei den Kandidaten dies hingegen kein grosses Thema war, wer zu Hause kocht und die Kinder betreut. Auch sprachlich analysierte die Redaktion die Berichterstattung (auch die eigene!) vor den Stadtratswahlen. Dabei beobachtete sie, dass den Kandidierenden je nach Geschlecht andere Eigenschaften zugeschrieben wurden. Die Kandidaten wurdenals «nicht fassbar» oder «dünnhäutig» kritisiert, Kandidatinnen hingegen als «farblos», «gehässig» oder «stur» beschrieben. Mehr als bei Männern sei bei den Frauen jeweils ihre Kompetenz hinterfragt worden. Dass sie gut sein könnten, müssten sie erst noch beweisen. Sie sind «Krampfer», «Kämpferinnen» oder «fleissig». Männer seien eher «Strategen», «souverän» oder «ausdauernd». Apropos ausdauernd: Sind Männer «ausdauernd», betone dieses Wort ihre positive Durch setzungskraft. Frauen gälten hingegen als «verbissen».
Die Journalistinnen und Journalisten würden gängige Stereotypen über Männer und Frauen reproduzieren, ungeachtet dessen, ob sie selbst weiblich oder männlich sind. Frauen dürften öffentlich weniger Fehler machen, ihnen würden weniger Kompetenzen zugeschrieben. «Frauen genügen nicht», lautete das Fazit der Tageszeitung.
Nicht gut genug?
Die langjährige SRF Journalistin und «Tagesschau» Moderatorin Beatrice Müller ist heute als Kommunikations- und Unternehmensberaterin tätig und macht die Erfahrung, dass Frauen selbstkritischer mit sich sind, obwohl ihre Kompetenzen unbestritten vorhanden sind. Trotzdem lehnt sie es ab, dass sich Frauen als Opfer sehen.
WOMEN IN BUSINESS: Frau Müller, werden Frauen von den Medien härter als Männer kritisiert?
Beatrice Müller: Ich glaube nicht, dass sie härter angefasst werden, sondern anders. Frauen erhalten andere Attribute, die bei Männer positiv bewertet, bei Frauen hingegen negativ wahrgenommen werden.
Inwiefern?
Die Schauspielerin Hildegard Knef hat einmal gesagt: Brüllt ein Mann, ist er dynamisch, brüllt eine Frau, ist sie hysterisch. Die Sprache ist unglaublich machtvoll diesbezüglich. Alle, die wir mit Sprache umgehen, sollten viel aufmerksamer dabei sein, wenn wir sie einsetzen. Das gilt nicht nur für die Medien. Stereotypen bestehen überall.
Laut der Verhaltensökonomin Iris Bohnet haben wir alle – auch Frauen – diese Stereotypen im Kopf. Es gibt das berühmte Beispiel mit den US-Orchestern: Seitdem an Auditions blind vorgespielt wird, wurde der Frauenanteil massiv erhöht. Wie kommt es, dass wir so stark in Rollenmustern denken?
Wir sind aufgewachsen mit klaren Rollenmustern und stecken in einem langwierigen Prozess über eine Neudefinition, der noch immer anhält. Trotzdem bin ich dagegen, dass wir Frauen nun darüber lamentieren und uns als Opfer sehen. Ich habe meinen Weg gemacht. Männer werden auch hart angegangen. Vielleicht stecken Männer Kritik auch eher weg, Frauen nagen länger daran. Für mich geht es darum, dass wir uns gesellschaftlich bewusst werden, wie wir Sprache gezielter einsetzen.
Was halten Sie von gendergerechter Sprache?
Ach, das gibt es doch schon ganz lange, wir wurden früher extrem geschult darin. Es gibt viele sprachliche Mittel, um nicht immer die maskuline Formzu verwenden, aber man muss sie eben einfach einsetzen!
Warum kommt die private Seite von Frauen viel mehr als jene von Männern in Portraits vor? Beispielsweise zur Kinderbetreuung?
Das zeigt doch, wie unser gesellschaftliches Bild einer Frau bzw. eines Mannes ist. In der Schweiz wird die Kinderbetreuung nach wie vor mehrheitlich von Frauen übernommen. Würde die Hälfte dieser Arbeit von Männern ausgeübt, wäre es bestimmt kein Thema mehr oder man würde diesbezüglich in der Berichterstattung keinen Unterschied merken. Aber da es nun einmal noch so ist… widerspiegelt sich das auch medial.
Werden Frauen nur sprachlich als weniger kompetent als ihre männlichen Pendants dargestellt? Oder fühlen sich Frauen im Grunde selber weniger kompetent und die Sprache widerspiegelt das?
Das ist eine spannende Frage, wahrscheinlich bedingt das eine das andere. Mich beschäftigt die Selbstwahrnehmung der Frauen in meinem Berufsalltag als Kommunikationstrainerin sehr. Frauen treten durchaus anders auf als Männer.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich beobachte beispielsweise, dass Frauen ehrlicher und offener, aber auch selbstkritischer mit sich selber sind. Wenn sich Frauen von mir beraten lassen, haben sie sich oft bereits sehr differenziert mit dem Thema Auftrittskompetenz auseinandergesetzt und sind sich bewusst, dass beispielsweise ein Medienauftritt keine einfache Sache ist. Manche Männer merken dagegen nie, dass ihr Auftritt nicht besonders gelingt! Gut, immerhin jene, die zu mir kommen, wollen sich schon verbessern, aber grundsätzlich stellen sie ihre Kompetenz weit weniger infrage, als es die Frauen tun.
Warum sind Frauen zurückhaltender?
Das frage ich mich auch! Kürzlich war ich an einem Netzwerkanlass mit lauter wunderbaren, bestens ausgebildeten Frauen – aber sie sind in der Öffentlichkeit nicht sichtbar! Dabei können sich diese Frauen sehr gut ausdrücken, haben ein grosses Potenzial und bekleiden in ihrem Beruf anspruchsvolle Positionen. Trotzdem zögern sie, vorne hinzustehen.
Liegt es am männlichen Umfeld?
Vielleicht, das wäre möglich. Sie sagen mir einfach, vorne hinzustehen, das sei nicht ihr Ding. Diese Frauen, die so viel leisten, wollen das nicht, weil sie sich das nicht zutrauen. Männer sind da viel selbstbewusster.
Sie beraten Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen. «Gut gebrüllt, Löwe» – so heisst Ihr Buch, in dem Sie praktische Kommunikationstipps aufgeschrieben haben. Was ist das Wichtigste, das man beachten muss im Umgang mit der Öffentlichkeit?
Mich wundert es immer wieder, dass viele glauben, Auftrittskompetenz komme von alleine. Niemand setzt sich einfach in ein Auto und meint, es auf Anhieb fahren zu können, sondern man nimmt zuerst Fahrstunden. So verhält es sich auch mit der Kommunikation. Man muss sich dieses Wissen aneignen. Das Wichtigste ist zu wissen, welche Botschaft man hat und wie man diese – je nach Medium – rüberbringen will. Dazu muss man verstehen, wie man von seinem Publikum wahrgenommen wird. Was sage ich, und wie kommt es an? Es geht darum, seine eigene Wahrnehmung zu schärfen.
Über Beatrice Müller
Beatrice Müller war Journalistin, Reporterin, Produzentin und Filmemacherin für TV und Rundfunk. Von 1997 bis 2013 war sie das Gesicht der «Tagesschau» im Schweizer Fernsehen. Heute ist Beatrice Müller selbstständige Unternehmensberaterin. Sie bietet Medien- und Auftrittstraining an und verhilft Unternehmen und Führungskräften zu einem glaubwürdigen, professionellen und attraktiven öffentlichen Auftritt.
Interview Nadine Jürgensen Bild Guenter Bolzern