Frauen verhandeln schlechter als Männer – ein Argument, das vielfach als Grund für unterschiedliche Chancen der Geschlechter im Berufsleben ins Feld geführt wird. Stimmt das überhaupt? Und was lässt sich dagegen unternehmen? Kann man lernen, besser zu verhandeln?
Das Verhandeln liegt in der Natur des Menschen. Und wir alle tun es, seit unserer frühen Kindheit. Wir haben mit den Eltern um den heiss gewünschten Teddybären, mit den Lehrern um weniger Hausaufgaben, mit den Geschwistern um Stillschweigen über unsere Missetaten verhandelt. Und je älter wir wurden, umso grössere Bedeutung hatten unsere Verhandlungen. Nun ging es nicht mehr um das Stofftier oder die Höhe des Sackgeldes: Mittels Verhandlungen kommen wir zu begehrten Jobs mit besseren Karrierechancen, mehr Verantwortung und höheren Einkommen. Und in all diesen Jobs – unabhängig von Branche und Bereich – spielt geschicktes Verhandeln eine gewisse Rolle.
So weit die Theorie. In der Praxis sieht das oft anders aus. Es gibt geschickte Verhandlungsführer und solche, die selten zum Ziel zu kommen scheinen. In allen Abstufungen, versteht sich. Gerade für Frauen hat das Verhandlungsthema in den letzten Jahren stark an Brisanz gewonnen. In der Diskussion um den Zugang zu hohen und höchsten Positionen in Wirtschaft und allen relevanten Bereichen unserer Gesellschaft wird Frauen ein Defizit der Fähigkeiten zur Verhandlung attestiert. Männer seien darin einfach besser – was zu geringerer Präsenz von Frauen in den Führungsetagen, weniger weiblichen Einflussmöglichkeiten in der Gesellschaft und vor allem niedrigeren Löhnen für gleiche Positionen im Vergleich zu den Männern führen würde.
Solche Stereotype zu widerlegen (oder auch zu beweisen) ist schwer. Wie lässt sich objektiv nachweisen, dass Frau X die Position des CEO nicht erhalten hat, weil sie schlechter verhandelt hat? Hatte ihr männlicher Mitbewerber schlicht den besseren Leistungsausweis? Die umfangreicheren Sprachkenntnisse? Oder die – unabhängig vom Geschlecht – schlichtweg passendere Persönlichkeit für das Unternehmen? Aus solchen Niederlagen die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist eine Herausforderung. Doch keine Frau, die etwas erreichen möchte und über die Fähigkeiten dazu verfügt, sollte aufgrund mangelnden Verhandlungsgeschicks davon abgehalten werden. Denn Verhandeln kann man lernen.
WOMEN IN BUSINESS: Dem Verhandeln kommt in allen Bereichen des Lebens eine wichtige Rolle zu. Können Sie sich noch an Ihren ersten Verhandlungserfolg erinnern? Matthias Schranner: (überlegt lange) Ich habe eigentlich aus meiner Sicht nie den Eindruck, einen Erfolg erzielt zu haben, weil ich nie ein Siegergefühl habe. Ich bin zufrieden, wenn ich das Ziel erreicht habe, aber dennoch denke ich immer, ich hätte es noch besser machen können. Das vergleiche ich oft mit dem Kochen. Es schmeckt mir, es ist ein gelungenes Gericht, aber ich bin immer auf der Suche nach der noch besseren Lösung.
Wie haben Sie selbst sich zum Spezialisten entwickelt? Ich komme ja ursprünglich aus dem Polizeibereich. Der Unterschied zwischen dieser Welt und dem Businessbereich ist der, dass man als Polizist erst dann dazukommt, wenn die Verhandlung schon gescheitert ist und die Krise in vollem Gange ist. Da habe ich gelernt, Wege aus dieser Sackgasse zu finden. Im Business hingegen sucht man nach Lösungen, um diese Konflikte zu verhindern. Ich habe dann eine Ausbildung zu den psychologischen Grundlagen gewaltfreier Kommunikation absolviert, die mir sozusagen das theoretische Fundament zu dem vermittelt hat, was ich zuvor gemacht hatte.
Haben Sie ein besonderes Talent zum Verhandeln, wird einem das in die Wiege gelegt?
Ich glaube, dass jede und jeder verhandeln lernen kann und dass alle darin besser werden können. Was ich persönlich mitbringe, ist die Fähigkeit, in besonders schwierigen Situationen die Ruhe und einen kühlen Kopf bewahren zu können. Das hilft sehr.
In welchen Bereichen arbeiten Sie? Generell werden wir beigezogen, wenn es um schwierige Verhandlungen geht, für die wir Strategien entwickeln sollen. Das sind zum Beispiel Insolvenzverhandlungen, wir planen, wann in solchen Verfahren wer ins Spiel kommt. Mergers & Acquisitions sind ebenfalls ein Bereich, in dem wir tätig sind. Da geht es um immens viel Geld, ein Fehler in den Verhandlungen kann sehr teuer werden.
Und wer beauftragt Sie? Das können alle in den Verhandlungen involvierten Parteien sein, Unternehmen, Behörden, die ganze Bandbreite. Was wir beobachten, ist, dass uns vor allem diejenigen als Sparringpartner ins Boot holen, die selbst bereits eine gewisse Verhandlungskompetenz besitzen. Sie möchten sich sozusagen den Feinschliff holen.
Dazu bieten Sie auch eine Vielzahl an Workshops an. I DO IT MY WAY ist eine Veranstaltung für Frauen, die schwierige Verhandlungen zu meistern haben. Wieso speziell Frauen als Zielgruppe? Diese Workshops haben wir vor drei Jahren ins Leben gerufen, weil uns aufgefallen ist, dass sich Frauen von unserem Angebot bisher weniger angesprochen fühlten. Wir haben das mit Frauen analysiert und festgestellt, dass unsere Website sehr männlich orientiert war. Das haben wir daraufhin geändert. Was ich zudem bis dahin unterschätzt hatte, ist, dass Frauen bei solchen Veranstaltungen lieber unter sich sind. Frauen agieren vorsichtiger und zurückhaltender, wenn Männer dabei sind, und bringen sich nicht so offen ein. Männer haben keine Angst davor, «blöde» Fragen zu stellen. Und sie stellen oft Fragen einfach nur, um sich zu positionieren, nicht um eine Antwort zu erhalten. Das ist bei Frauen anders. Uns ist bei DO IT MY WAY wichtig, dass es ein geschützter Raum ist, in dem Frauen offen und ehrlich diskutieren können. Die Themen sind im Übrigen mit den männlichen Themen fast deckungsgleich. Und ich möchte betonen, dass es kein Frauen-gegen-Männer-Workshop ist.
Und wie können Frauen darin besser werden? Wenn man das Gefühl hat, dass man etwas ändern möchte, ist man bereits verhandlungsbereit. Dann muss man auch etwas unternehmen. Man sollte sich darüber klar werden, welche Ziele man verfolgt, welche Strategie und welche Taktik innerhalb dieser Strategie man anwenden möchte. Wenn ich zum Beispiel im nächsten Jahr zehn Prozent mehr Einkommen fordere, muss ich das konfliktorientiert – was aber nicht unfair bedeutet – angehen. Ein grosser Fehler wäre es, den Impuls zu unterdrücken, denn dann verhandle ich mit mir selbst. Ich ärgere mich, mache mir Vorwürfe, warum ich nichts sage. Das ist nicht zielführend. Gut ist es, die Verhandlung vorzubereiten. Also bereits im Vorfeld zu signalisieren, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel in drei Monaten, über das Thema sprechen will.
Und wenn der andere gar nicht verhandeln will? Dann ist die Nichteinigung für den anderen verträglich, für ihn ändert sich nichts, wenn es zu keiner Einigung kommt. Der Fehler liegt bei mir, denn dann habe ich die falsche Strategie. Ich muss in der Vorbereitung andere mit ins Boot holen. Um beim Beispiel der Lohnverhandlungen zu bleiben: Es hilft, im Vorfeld anderen, etwa weiteren Vorgesetzten, zu kommunizieren, dass ich demnächst eine Forderung aufstellen werde.
Ist es gut, immer einen Plan B bereit zu haben? Nein, davon rate ich dringend ab. Ein Plan B ist total verkehrt, weil ich unter Druck dann sofort einknicke. Man darf aber auch nicht den Fehler machen, dem anderen gleich die Lösung unter die Nase zu reiben, denn dann hat der andere keine Wahl. Man muss das also gemeinsam ausloten und nicht mit sich selbst schon vorverhandeln.
Ihr Credo ist, dass Frauen nicht männliche Verhaltensweisen kopieren dürfen – völlig d’accord. Doch sobald Frauen sich behaupten und ihre Position klarmachen, wird ihnen oft vorgeworfen, dass sie «zu männlich» agieren würden. Wie sieht da Ihr Weg aus? Was in der männlichen Welt sehr typisch ist, ist dieses «Gockelgehabe», im Sinne von «mein Haus, mein Auto, mein Boot». Frauen sind davon zwar auch nicht frei, aber es äussert sich anders. Die falsche Reaktion darauf wäre, das abzuwerten, also zu fragen, ob Männer das so nötig haben. Das kommt beim Gegenüber natürlich schlecht an. Genauso, wie dieses Gehabe zu kopieren, im Übrigen.
Wie kann sich eine Frau da positionieren, damit sie ernst genommen wird?
Indem ich zeige, dass ich eine professionelle Verhandlungsführerin bin, also weder auf dieses Gockelgehabe einsteige noch mich als «Weibchen» präsentiere. Wenn eine Frau in Verhandlungen klar und direkt eine Haltung einnimmt und ihre Forderungen formuliert, hat sie den Respekt ihrer Verhandlungspartner, egal, ob männlich oder weiblich.
Doch was, wenn ich bei meinem Gegenüber auf die alten Geschlechterstereotypen treffe, wie reagiere ich darauf? Im gehobenen Management sind mir persönlich grobe Verstösse gegen geltende Regeln des Anstands noch kaum begegnet. Aber es gibt sichtbare und unsichtbare Grenzen, erstere sind die strafbaren, die vom Gesetz gedeckt sind. Die unsichtbaren sind schwieriger zu definieren. Was erwarte ich, welchen Respekt fordere ich ein? Frauen erwarten vielleicht ein anderes Respektlevel als das, welches ihnen Männer entgegenbringen. Diese überschreiten das dann manches Mal auch unabsichtlich oder unwissentlich. Das soll keine Entschuldigung sein, im Gegenteil: Es unterstreicht, wie wichtig es ist, dass Frauen hier klare Grenzen setzen. Diese müssen klar und unmissverständlich kommuniziert werden.
Unabhängig vom Geschlecht, welche möglichen Vorgehensweisen gibt es in Verhandlungen?
Ich unterscheide die Menschen in Bezug auf ihre Verhandlungsfähigkeiten grundsätzlich in zwei Lager: Es gibt diejenigen, die an die Kraft der Logik glauben, sie sind zuverlässig und einschätzbar. Dann gibt es eben den spielerischen Typ, der Spass an der Verhandlung selbst hat. Er stellt einfach Forderungen, die nicht rational sind, und freut sich, wenn der andere reagiert …
… ein eher anarchisches Konzept …
Ja, und provozierend dazu. Für den Spieler wird es eben dann erst spannend. Wenn ich sehr detailorientiert, zahlengetrieben und rational bin, habe ich Schwierigkeiten mit spielerischen Menschen, sie sind aus meiner Sicht unvernünftig. Wenn ich selbst aber sehr spielerisch bin und Freude an der Verhandlung selbst habe, habe ich Probleme mit den rationalen Menschen, denn diese sind für mich langweilig und uninspiriert.
Aber es gibt doch fliessende Übergänge zwischen diesen beiden Typen?
Nein. Es gibt meiner Erfahrung nach keine rationalen Verhandler, die echten Spass am Spiel haben.
Wer ist erfolgreicher? Wenn der Spieler auf den rationalen Typ trifft, gewinnt immer der Spieler. Spielerisch dabei aber bitte nicht falsch verstehen: Das bedeutet nicht, dass jemand leichtsinnig ist, sondern dass er flexibel ist und über den Tellerrand hinausblicken kann.
Gilt das für alle Kulturkreise? Ich bin in USA, Europa und Asien tätig. Prinzipiell hat man es immer mit regionalen Besonderheiten und Befindlichkeiten zu tun. Die amerikanische Kultur etwa hat viel mehr Spass am Konflikt. Das sieht man am aktuellen Präsidenten, was immer man auch von ihm halten mag. Im deutschsprachigen Raum laufen Verhandlungen viel rationaler ab, man bereitet sich nicht auf die Verhandlung vor, sondern auf die Lösung. Diese beiden Gegensätze bergen natürlich Konfliktpotential. Wenn ich also mitspielen möchte, muss ich die Regeln des anderen akzeptieren. Um nochmal auf das Beispiel Donald Trump zurückzukommen: Er ist demokratisch vom US-amerikanischen Volk gewählt worden. Und wenn man mit ihm verhandeln möchte, muss man diese Tatsache akzeptieren, unabhängig davon, was man von seinem Stil, Politik zu machen, hält.
Sind die kulturellen Unterschiede zum asiatischen Raum nicht viel grösser?
Das wird zwar oft angenommen, ist aber nicht so. Die chinesische Verhandlungsführung etwa ist der europäischen sehr ähnlich, es wird rational und vor allem schnell verhandelt. Japan ist da aufgrund der Kultur wieder ein spezieller Fall. Aber bei den USA ist die Gefahr viel grösser, sich in Verhandlungen zu verkalkulieren. Wir denken, dass ihre Kultur der unseren sehr viel näher sei, und meinen, sie besser zu kennen. Das macht Verhandlungen schwieriger. Aber generell muss man sich immer auf den Verhandlungspartner einstellen – das gilt in jedem Umfeld. ★
Über Matthias Schranner
Matthias Schranner ist ein international tätiger Verhandlungsexperte. Seine Ausbildung fand bei Polizei und FBI statt, wo er für schwierigste Verhandlungen trainiert wurde. Als Berater unterstützt er mit seinem Institut die UN, globale Unternehmen und politische Parteien. Er ist Autor der Bücher «Verhandeln im Grenzbereich», «Der Verhandlungsführer», «Teure Fehler» und «Faule Kompromisse» sowie Verfasser zahlreicher Publikationen. An der Universität St. Gallen ist er Lehrbeauftragter für Verhandlungen.
Das von ihm gegründete Schranner Negotiation Institute unterstützt seine Klienten in allen Phasen schwieriger Verhandlungen. Dazu bietet das Unternehmen mit Seminaren, Konferenzen und Workshops für jedes Management Level massgeschneiderte Inhalte.
Text & Interview: Irene M. Wrabel