Sie engagiert sich im Initiativkomitee für die Individualbesteuerung: Alt-Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold unterstützt das Begehren, Frauen und Männer unabhängig von ihrem Zivilstand zu besteuern – mit dem Ziel, positive Anreize für berufstätige Frauen zu schaffen.

Am 28. Februar 2016 wurde die Volksinitiative der CVP für die Abschaffung der Heiratsstrafe knapp abgelehnt. Die steuerliche Benachteiligung von Doppelverdiener-Ehepaaren war somit noch nicht vom Tisch. Seitdem scheint das Thema in Vergessenheit geraten zu sein, doch Tatsache bleibt, dass sich die Familienmodelle sowie die Erwerbstätigkeit der Frauen in den letzten Jahrzehnten massgeblich verändert haben. «Das heutige Steuersystem reflektiert diese Entwicklung keineswegs. Bereits in den 90er Jahren hat der Bundesrat dies erkannt, weshalb er die Expertenkommission ‹Familienbesteuerung› eingesetzt hat», sagt die ehemalige Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold. Zu jener Zeit war sie als Vertreterin der kantonalen Finanzdirektoren Mitglied dieser Kommission, welche bestrebt war, auch die Individualbesteuerung als geeignete Alternative darzustellen. Nachdem nun aber sämtliche Projekte zur Reform der Familien- und Ehepaarbesteuerung gescheitert sind, wagt die ehemalige Magistratin zusammen mit den FDP-Frauen einen neuen Anlauf in Form einer Volksinitiative zur Einführung der Individualbesteuerung, die zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts am 8. März dieses Jahres lanciert wurde.

WOMEN IN BUSINESS: Ruth Metzler-Arnold, wie kam es zu Ihrem Engagement, was die erwähnte Initiative betrifft?
Ruth Metzler-Arnold: Das heutige System der Besteuerung von Doppelverdiener Ehepaaren führt nicht nur zu starken Benachteiligungen, sondern hat vor allem zur Folge, dass Frauen und Männer ihre steuerliche Unabhängigkeit verlieren. Auf eigenen Füssen stehen zu können, war mir persönlich immer ein wichtiges Anliegen und motiviert mich zusätzlich, die Individualbesteuerung ins Zentrum zu rücken. Dadurch kann die Rollenverteilung innerhalb der Familie auf einer neuen Grundlage diskutiert werden. Unser aktuelles Steuersystem auf Bundesebene erschwert die vollständige Gleichstellung von Mann und Frau.

Die Frauen sollen also durch eine Heirat nicht zum Anhängsel des Mannes in Bezug auf die gemeinsame Steuererklärung werden?
Genau. Ich betrachte die Ehe nicht als Versicherung für sämtliche Lebenslagen. Es ist sinnvoll, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, zumal man nie wissen kann, in welche Richtung sich eine Partnerschaft entwickelt. Frauen sollten auch bewusst eine eigene berufliche Vorsorge aufbauen und sich nicht darauf verlassen, dass bei einer allfälligen Scheidung das hauptsächlich vom Ehemann angehäufte Vorsorgekapital aufgeteilt wird.

Die Mitte will das Problem mit einer eigenen Heiratsstrafe-Initiative beheben. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Ihrer eigenen Partei in den Rücken zu fallen?
Ich habe auch seitens meiner Partei sowie von Menschen unterschiedlicher Generationen viel Zuspruch erhalten. Allerdings nehme ich an, dass sich nicht alle Parteikolleginnen und -kollegen über mein Engagement freuen. Ob die Mitte eine entsprechende Initiative lancieren wird, ist noch offen. Diese engagiert sich für die Abschaffung der Heiratsstrafe im Zusammenhang mit Sozialversicherungen. Ausserdem unterstütze ich kein Konkurrenzprojekt. Vielmehr existiert derzeit nur die Initiative der FDP-Frauen.

Ist die Beseitigung steuerlicher Fehlanreize das wirksamste Mittel, um die Gleichstellung voranzutreiben?
Diese stellt ein wesentliches Element dar, doch weitere Fortschritte insbesondere in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf müssen erzielt werden. Die Individualbesteuerung ist der zielführendste Weg, um die steuerliche Ungleichbehandlung endlich aus der Welt zu schaffen. Dadurch kann das Vertrauen in das Steuersystem wieder gestärkt werden.

Die Politik scheint sich diesbezüglich in Zurückhaltung zu üben. Ein erster parlamentarischer Vorstoss zur steuerlichen Gleichbehandlung von Ehe- und Konkubinats-Paaren scheiterte bereits 1984. Wie ist dieser Widerstand zu erklären?
Die zu erwartenden Steuerausfälle und andere politische Prioritäten sind sicherlich wesentliche Gründe, dass bisher keine mehrheitsfähige Vorlage zustande gekommen ist. Auch der Bundesrat hat schon in den 90er Jahren den Handlungsbedarf erkannt und die Expertenkommission «Familienbesteuerung» eingesetzt, um die Benachteiligung von Konkubinats- und Doppelverdiener-Ehepaaren gegenüber Alleinverdiener-Ehepaaren auszugleichen.

Stellen insbesondere die gesetzliche Umsetzung sowie der administrative Aufwand eine Schwierigkeit dar?
Der Umstellungsaufwand ist bestimmt nicht zu unterschätzen, aber dieser ist einmalig und nicht wiederkehrend. Fakt ist: Frauen und Männer, die ins Erwerbsleben eintreten, werden individuell besteuert, solange kein Trauschein oder keine eingetragene Partnerschaft vorhanden ist. Die Individualbesteuerung führt zwar zu mehr Steuererklärungen, weil Ehepaare deren zwei einreichen müssen. Aber die Inhalte, unter anderem die Löhne und Abzüge, bleiben dieselben. Die grosse Arbeit besteht ja darin, die notwendigen Steuerunterlagen zusammenzutragen und zu prüfen. Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung immer mehr dazu beitragen wird, die Administration zu vereinfachen.

Können die bislang nicht berufstätigen Akademikerinnen dadurch ermutigt werden?
Mit Sicherheit. Es gibt heute negative Anreize. Verschiedene Studien kommen zum Schluss, dass mehrere zehntausend Personen, darunter vorwiegend Frauen, zusätzlich in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Wie viele es tatsächlich sein werden, hängt von der Ausgestaltung des künftigen Steuersystems ab. Bei einer gemeinsamen Veranlagung mit Vollsplitting wäre der steuerliche Anreiz geringer als bei der Individualbesteuerung. Wird diese eingeführt, dürften die besser Verdienenden und damit die besser Ausgebildeten profitieren, zumal diese meist frei entscheiden können, wie viel sie arbeiten möchten. Wir benötigen aber auch mehr Tagesschulen, Kitas, flexiblere Arbeitszeiten und bessere Teilzeitarbeit-Möglichkeiten.

Die weniger gut qualifizierten Frauen haben demnach das Nachsehen.
Das kann man so nicht sagen. Die direkte Bundessteuer ist für Menschen mit tieferen Löhnen kaum ein Thema. Insbesondere Personen mit einem guten Zweiteinkommen müssen oft finanziell «bluten». Ich stamme aus einer CVP-Familie. Meine Mutter war immer teilzeiterwerbstätig, und entsprechend war ich für dieses Thema früh sensibilisiert. Mein Vater hatte sich immer für eine Veränderung der Familienbesteuerung ausgesprochen. Da aber bisher auf Bundesebene schlicht nichts passiert ist, unterstützt auch er die Initiative zur Individualbesteuerung.

Die Gegner befürchten, dass die Reform das traditionelle Familienmodell benachteiligt. Was sagen Sie dazu?
Ich finde es seltsam, dass man die Ehe in Gefahr sieht, wenn steuerliche Privilegien im Vergleich zu unverheirateten Paaren abgeschafft werden sollen. Ich habe auch geheiratet, obwohl mein Mann und ich uns der steuerlichen Folgen sehr bewusst waren. Wer das traditionelle Familienmodell der Alleinverdiener leben möchte, soll mit oder ohne Trauschein gleichbehandelt werden. Bezüglich Thema Unterhaltszahlungen hat das Bundesgericht übrigens durch eine Praxisänderung einen grossen Schritt in dieselbe Richtung gemacht, indem geschiedenen Frauen vermehrt zugemutet wird, wieder selber für ihren Unterhalt aufzukommen – auch wenn sie während der Ehe nicht erwerbstätig waren. Schwierig finde ich allerdings, dass dieser an sich begrüssenswerte Schritt kommt, bevor die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie klar gegeben sind.

Apropos Veränderungen: Sie setzen sich auch für mehr Frauen in Führungspositionen ein. Wie kann dieses Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden?
Diversität ist nicht Selbstzweck, sondern fördert Exzellenz, Leistungsfähigkeit und Entscheidungsqualität. Die Evaluation der Kandidatinnen und Kandidaten sollte stärker auf Expertise und Potential für die Zukunft basieren, das heisst auch auf Werte, Kultur und Verhaltensweisen ausgerichtet sein. Die bisherige Erfahrung steht nicht mehr alleine im Vordergrund. Neben den grundlegenden Fähigkeiten müssen die für die Zukunft massgebenden Kriterien ein stärkeres Gewicht in der Beurteilung erhalten, was auch dazu führen würde, dass sich der Kandidatinnenkreis öffnen könnte.

Müssten sich die Frauen entschiedener zu Wort melden?
Sie sollten sich mehr zutrauen. Aber vor allem benötigen wir in diversen Organisationen und Unternehmen einen Kulturwandel, indem nicht nur Frauen, sondern auch Andersdenkende ausreichend berücksichtigt werden. Die unbewusste Voreingenommenheit existiert nach wie vor. Auch ist ein internes Talentmanagement notwendig, welches Frauen fördert. Es kann nicht sein, dass die weiblichen Führungskräfte nur auswärts gesucht werden.

Lautet das Zauberwort in diesem Zusammenhang auch: bessere Vernetzung?
Im Rahmen von Veranstaltungen beispielsweise treffe ich nach wie vor eher wenige Frauen an. Auch habe ich oft den Eindruck, dass kurze Kontakte und das Verteilen von Visitenkarten bei möglichst vielen Anwesenden wichtiger erscheint als gute Gespräche mit weniger Personen.

Werden Sie aufgrund Ihrer politischen Vergangenheit im männerdominierten Verwaltungsrat besonders geachtet oder kann diese auch erschwerend sein?
Ich kenne beide Seiten: Einerseits grossen Respekt, auch, was meine Aussagen betrifft, sowie andererseits Menschen, die nicht sonderlich begeistert sind, wenn sich eine ehemalige Politikerin in der Wirtschaftswelt bewegt, weil sie davon ausgehen, dass diese keine Ahnung hat. In den ersten Jahren nach meiner Bundesratszeit habe ich manchmal gemerkt, dass mein Name mehr im Vordergrund stand als meine Fähigkeiten. Ich wollte jedoch nicht für den Rest meines Lebens nur auf mein ehemaliges Magistratenamt reduziert werden, sondern aufgrund meiner anderen und vielfältigen Kompetenzen Beachtung finden. Zwar bin ich Teil der politischen Geschichte der Schweiz, aber eben nicht nur. Ich sehe mich auch als Brückenbauerin zwischen Politik und Wirtschaft, da mir beide Bereiche sehr vertraut sind.

Sie waren die jüngste Bundesrätin aller Zeiten. Welche Bilanz ziehen Sie mittlerweile?
Inzwischen bewegen sich immer mehr jüngere Minister auf dem internationalen Parkett. Wenn sich frühzeitig eine berufliche Herausforderung ergibt und man den Eindruck hat, eine grosse Hürde meistern zu können, sollte man zupacken. Es besteht kaum die Chance, in zehn Jahren noch einmal gefragt zu werden. Zwar gehörte ich seinerzeit auch zu den unerfahrenen Regierungs- und Bundesrätinnen, doch reizte mich gleichzeitig das berufliche Neuland. Deshalb sage ich jungen Menschen immer: «Ihr könnt euer Leben zwar ein Stück weit vorausplanen, aber ihr müsst darauf achten, dass ihr die Chancen nicht verpasst. Es braucht Mut, sich neuen Situationen zu stellen und aus der Komfortzone herauszutreten. Aber es lohnt sich, etwas zu wagen.

Zur Person
Ruth Metzler-Arnold wurde am 23. Mai 1964 in Sursee LU geboren und wuchs in Willisau im Kanton Luzern auf, wo sie die Schulen besuchte. Anschliessend studierte sie Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg i. Ue. Die diplomierte Wirtschaftsprüferin und frühere Finanzdirektorin des Kantons Appenzell wurde 1999 als jüngste Bundesrätin gewählt. 2003 wurde sie von Christoph Blocher aus der Landesregierung verdrängt, wo sie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement führte. Später übernahm sie Führungsfunktionen bei Novartis und ist derzeit Präsidentin bzw. Mitglied verschiedener Verwaltungs und Stiftungsräte sowie Inhaberin von METZLER Strategie, Führung und Kommunikation AG. Die 56-jährige ist in zweiter Ehe verheiratet und lebt in Appenzell.

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Die nächste WOMEN IN BUSINESS Ausgabe wird am 13.03.2025 lanciert

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