Chanel, Prada und Akris setzen auf St. Galler Stickereien, und da kennt sich Caroline Forster aus. Sie ist Co-CEO des traditionsreichen St. Galler Textilunternehmens Forster Rohner. Die 40-jährige Betriebsökonomin über ihre Motivation, den Umgang mit der Pandemiekrise und Frauenförderung im Betrieb.

Ein Produktionsunternehmen besteht aus Maschinen, aus Cashflow, Eigenkapitalquote und aus Bestelleingängen. Aber es gehören auch Menschen dazu, Töne und Gerüche. Caroline Forster kennt die Geräusche, die flinken Hände und die Menschen, die an der Herstellung der traumhaften St. Galler Stickereien beteiligt sind, seit Kindesbeinen. Sie liebte das Rattern der magischen Stickereimaschinen, wenn sie mit ihrer Mutter im väterlichen Betrieb vorbeischaute. Und als 14-jähri- ge Gymi-Schülerin verdiente sie ihr erstes Taschengeld in der Fabrik. «Ich durfte Musterungen für die Kunden zusammenstellen», erinnert sie sich.

Die Musterbücher von Forster Rohner sind das Kapital des 116-jährigen Unternehmens. Sie stehen im grossen Archiv unweit der Halle mit den Stickmaschinen, nach Jahren und Jahrzehnten geordnet, in vielen Laufmetern Gestellen versorgt. Die rund 400’000 Dessins sind das Material, aus denen die textilen Träume der bedeutendsten Modedesigner sind – und ihrer Kundinnen. Michelle Obama trug 2009 eine wollene Guipure-Stickerei aus dem Hause Foster Rohner anlässlich der Inaugurationsfeier von Barack Obama als US-Präsident, und Amal Clooney verzauberte ihren George mit St. Galler Spitzen an ihrer Hochzeit in Venedig. Akris, Chanel, Miuccia Prada – sie alle setzen Stickereien aus St. Gallen in ihren Designs ein.

Sie repräsentierten als erste Frau in der Firmenleitung und zusammen mit ihrem Bruder die vierte Generation. Gab es für Sie Vorbilder?

Meine Mutter war mir sicherlich ein Vorbild, was ihre grosse Sozialkompetenz anbetrifft, die es braucht, um ein Unternehmen zu führen. Als Politikerin kann sie mit Menschen aller Art umgehen. Mein Vater ist ein Unternehmer alter Schule, ein Patron, für den Mitarbeiter im Zentrum stehen. Das habe ich von ihm übernommen.

Was braucht es, um ein so traditionsreiches Unternehmen «frisch» zu halten?

Wandelbarkeit. Man muss bereit sein, sich anzupassen und sich zu verändern. So ist die Mode, aber so sind auch wir. Wir haben immer schnell reagiert auf äussere Gegebenheiten. Beispielsweise haben wir unsere Produktion sehr früh konsequent ausgelagert, nach China 1991, nach Rumänien vor über 20 Jahren und nach Bosnien vor rund zwei Jahren. Auch in St. Gallen haben wir immer einen Teil der Produktion behalten. Hier schlägt unser Herz, hier ist das Hirn: die Kreation, das Marketing und die Administration sind in St. Gallen. In Rumänien, China und Bosnien arbeiten auch Mitarbeiter von uns, um das Know-how weiterzugeben.

Sie sind Mutter und arbeiten Vollzeit in der Firmenleitung und kennen aus eigener Erfahrung die Doppelbelastung, die Arbeit und Familienleben mit sich bringen. Inwiefern setzen Sie sich für Frauenförderung innerhalb der Firma ein?

Gleichstellung der Geschlechter auch innerhalb der Firma ist mir sehr wichtig. Die Gesellschaft und auch die Wirtschaft haben hinsichtlich der Gleichstellung noch viel zu tun. Wir haben bei uns flexible Arbeitsmodelle etabliert. Wenn eine Mitarbeiterin schwanger wird, teilt sie es mir frühzeitig mit, sodass wir das Arbeitsmodell miteinander arrangieren können. Für eine junge Mutter muss es möglich sein, weiterarbeiten zu können. Aber es setzt natürlich auch die Bereitschaft voraus, dass sie ein gewisses Pensum beibehalten will.

Caroline Forster ist eine Durchstarterin, die es gewohnt ist, hart und konzentriert zu arbeiten: Sie war erst 26, als sie CEO von Inter-Spitzen, eine Tochtergesellschaft von Forster Rohner, wurde. Das jüngste von vier Kindern – sie hat eine ältere Schwester und zwei ältere Brüder – hatte an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Zwei Geschwister wurden Juristen. Sie beobachtete mit Argusaugen, wie ihr sechs Jahre älterer Bruder Emanuel für Forster Rohner um die Welt kam. Noch während ihres Studiums ging sie für ein Jahr nach Paris und absolvierte bei der Lingeriefirma Chantelle ein einjähriges Praktikum. Darauf fing sie bei Inter-Spitzen an, einer Tochterfirma von Forster Rohner. Mit 25 stieg sie bei Forster Rohner in den Verkauf ein, ein Jahr später bei Inter-Spitzen, und ab 2010 kam sie in die Geschäftsleitung der Gruppe.

Man kann ihr nicht vorwerfen, ein Sonntagskind zu sein. Caroline machte gleich zu Beginn ihrer Karriere mit der Krise Bekanntschaft. Denn bald nach ihrem Einstieg, im Jahr 2008, kam die globale Wirtschaftskrise, während der auch die Schweiz in eine Rezession schlitterte. Es galt, neue Ideen zu entwickeln. Die Erfahrung kommt der Ökonomin heute, da die Pandemie die Produktionsunternehmen vor bisher nicht gekannte Herausforderungen stellt, zugute.

Während der Pandemie wurden gerade global operierende Unternehmen wie Ihres stark gefordert. Wie erleben Sie die Krise?

Wir wussten sehr früh, dass die Lage ernst würde, denn unsere Fabrik in China musste bereits im Januar schliessen. Von daher waren wir wohl auch besser vorbereitet als andere. Wir konnten beispielsweise auf Pandemiepläne am Arbeitsplatz zurückgreifen, die wir hier noch gar nicht hatten.
Wir haben unsere Fabrik in der Schweiz nie geschlossen, sondern arbeiteten während des Lockdowns mit einem Schutzkonzept weiter.

Trotzdem muss Sie die Krise mit den Ladenschliessungen getroffen haben. Was waren die grössten Herausforderungen?

Natürlich war es schwierig, und wir sind ja noch nicht durch. Unsere Kunden etwa in Paris oder in China sind ganz unterschiedlich betroffen. Dort mussten Partner die Arbeit teilweise niederlegen. Wenn niemand verkaufen und niemand bestellen kann, gehen bei uns auch keine Bestellungen ein. Wir hatten zu Beginn noch volle Bestellungsbücher, aber das änderte sich dann natürlich mit der Zeit. Mittlerweile konnte wieder einiges aufgeholt werden.

Was waren konkret die schwierigsten Herausforderungen, die Sie zu bewältigen hatten?

Einerseits war es die Problematik, in verschiedenen Betrieben in China, Rumänien und Bosnien die Produktion aufrecht zu erhalten, und die Kommunikation mit unseren Kunden zu pflegen. Und dann natürlich die zu unseren Mitarbeitern im Haus. Es zeigte sich, dass unsere Mitarbeiter im Homeoffice ganz verschieden ausgelastet waren und auch unterschiedlich auf die ausserordentliche Situation reagierten. Das unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer einfach. Wir haben die Zeit aber auch positiv genutzt.

Inwiefern?

Wir wurden relativ rasch vom Bund angefragt, ob wir Stoffmasken produzieren könnten. Es gab sehr strenge Vorgaben, aber wir nahmen den Challenge an, denn wir hatten ja das Textil-Know-how. Wir liessen viele verschiedene Ausführungen von der EMPA und anderen Instituten testen, von denen nun drei auf dem Markt sind. Es ist toll, im eigenen Land ein fertiges Produkt zu verkaufen, auf das wir sehr stolz sind!

Vor der Krise waren Sie ein- bis zweimal pro Woche im Flugzeug zu Kundentreffen unterwegs. Fehlt Ihnen das?

Die Umstellung war zu Beginn natürlich schwierig. Plötzlich war auch mein Partner zu Hause, der Pilot ist. Aber die Zeit hatte ihre positiven Seiten. Ich hatte mehr Zeit für meine zweijährige Tochter und meine Familie. Am Morgen um vier Uhr aufstehen, um das erste Flugzeug zu erwischen, und spätabends nach Hause zu kommen, war ja auch nicht ideal. Aber wenn man in der Lieferantenrolle ist, wird dies vom Kunden so verlangt.

Denken Sie, Sie kehren wieder zum alten Rhythmus zurück, wenn das Reisen einmal wieder möglich ist?

Ich werde dann in einem sinnvolleren Mass reisen. Ich glaube, es wird ein Umdenken stattfinden, auch auf Kundenseite. Da ist es von Vorteil, dass wir in den letzten 13 Jahren ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnten. Vielleicht ist es auch eine Chance für Europa, dass sich die Wirtschaft wieder etwas regionaler ausrichtet, nicht nur aus geographischen, sondern auch kulturellen Gründen.

Die Firma hat im Laufe seiner 116-jährigen Geschichte Höhen und Tiefen erlebt: Bahnbrechende Innovationen, aber auch zwei Kriege und damit einhergehende Wirtschaftskrisen, Fusionen und Produktionsauslagerungen. Bereits seit 1936 zählt das St. Galler Haus die Haute-Couture-Häuser von Paris, Mailand und New York zur Kundschaft. Noch heute sind Stickereien für Haute Couture, Prêt-à-Porter und Lingerie das Kerngeschäft. Man profitierte vom Guipure-Stickerei-Boom, losgetreten von Miuccia Pradas berühmter Guipure-Serie «Volute». 2009 gründete Caroline Forsters Vater Forster Rohner Textile Innovations als eigenständigen Geschäftsbereich; hier wurden Innovationen vorangetrieben, etwa leitfähige Garne, Lichttextilien und textile Sensorik.

Es heisst, Krisen machen die Menschen erfinderisch.
Erleben Sie dies jetzt auch?

Ich habe das Umfeld tatsächlich schon lange nicht mehr so innovationsfreundlich erlebt wie jetzt. Den letzten Innovationsschub erlebten wir im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/9. In der Krise kommt man aus der Komfortzone heraus. In der Regel gehen Krisen mit Innovationen einher.

Was gehört denn zu Ihren Innovationen?

Smart Textiles oder sogenannte E-Textiles sind für uns ein wichtiges Thema. Das sind intelligente Stoffe, beispielsweise Textilien mit Sensoren. Sie kommen etwa in Matratzen im medizinischen Bereich zum Einsatz, oder im Sicherheitsbereich in Flughäfen, bei Körperscannern. Die Elektrotechnik scheitert oft im textilen Bereich. Da sind wir besser gerüstet. Die Textilindustrie hat im Gegensatz zu den viel jüngeren Elektronikfirmen ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel, in denen sie viel gelernt hat, auch wenn sie ein vermeintlich einfaches Produkt herstellt. Unser Ziel ist es, unser textiles Know-how und die Elektrotechnik zu verheiraten. Wir kooperieren beispielsweise mit der Firma Carpetlight, die textile Leuchten für den Foto- und Filmbereich kreiert. Sie kommen auch in Hollywood zum Einsatz.

Akris trumpfte vor ein paar Jahren mit Designs auf, die
auf Ihren e-broidery-Kreationen basieren.
Ja, Albert Kriemler war der erste, der das Thema Licht wunderschön und sehr dezent in seinen Kreationen eingebaut hatte. Er hatte die Lichtpunkte aus LED in dunkle Kleider eingearbeitet, so dass der Stoff herrlich schimmerte. Die Kleider sind durch textile Verschaltungen zu einem einzigen Stromkreis verbunden und von kleinen Akkus gespeist; die LEDs leuchten in verschiedenen Helligkeiten.

Das tönt nach Science-Fiction! Entstehen Innovationen, wenn es auf bewährtem Weg nicht mehr weitergeht?

Bei uns geht es einerseits auf den bewährten Wegen weiter. Ohne Geschichte gibt es keine Innovation. Die Heritage ist wichtig, um Neues zu machen. Dass wir uns beständig weiterentwickeln, ist schon nur bedingt durch die Mode. Aber Innovationen und Verbesserungen sind für uns zentral. Zum Beispiel steht auch das Thema Nachhaltigkeit bei uns schon seit ein paar Jahren im Fokus.

Inwiefern?

Wir arbeiten mit Partnern intensiv an alternativen Färbemethoden, die ohne oder mit weniger Chemikalien auskommen, sowie mit recycelten Polyesterstoffen und Garnen.

Denken Sie, dass sich auch die Modeindustrie wandeln wird?

Die Modewelt ist natürlich stark betroffen von der Krise, schon weil die Shows nicht im bewährten Stil stattfinden können. Aber glauben Sie mir, das ist eine Branche, die sich neu erfinden wird.

 

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