Vor drei Jahren wurde Catrin Hinkel zum CEO von Microsoft Schweiz ernannt. Im Zeitalter der künstlichen Intelligenz steht der bekannte Softwarekonzern vor neuen Chancen und Herausforderungen. Wie die gebürtige Deutsche Microsoft Schweiz für die Zukunft positioniert und wie sie Diversität lebt, erzählt sie im Gespräch mit Women in Business.
Niemand kann Dir garantieren, dass Du ein Ziel in einer bestimmten Zeit erreichst. Aber du wirst garantiert nie ein Ziel erreichen, das du dir nie gesetzt hast». Dieses Zitat des kanadischen Politik- wissenschaftlers David McNal- ly könnte durchaus auch auf Catrin Hinkel, CEO von Microsoft Schweiz mit Sitz in Zürich-Kloten, zutreffen. Sie gehört zu den beharrlichen Menschen, und das hat sich bereits in jungen Jahren gezeigt. Bis zum 16. Lebensjahr nahm sie beispielsweise regelmässig an Schwimmwettkämpfen teil. «Ich betrachte sportliche Aktivitäten auch als Möglichkeit, eine Rückmeldung zu erhalten», sagt die zweifache Mutter Catrin Hinkel. Allerdings liege ihr Bestreben nicht lediglich darin, sich mit anderen zu messen – zumindest nicht in ihrer Funktion bei Microsoft Schweiz, zumal immer das Team und der gemeinsame Erfolg im Vordergrund stehe.
WOMEN IN BUSINESS: Catrin Hinkel, Sie beschreiben sich selbst als wettbewerbsorientiert.
Catrin Hinkel: Das trifft zu. Ich war früh fasziniert davon, auf welche Art und Weise man mithilfe der Technologie wichtige Themen des täglichen Lebens anpacken kann. Als CEO von Microsoft Schweiz setze ich mich zudem dafür ein, den Ruf der Schweiz als ideenreiches Land weiter zu stärken. Diese nimmt im Zusammenhang mit Innovation eine Vorreiterrolle ein und setzt auch Massstäbe, was die Integration der künstlichen Intelligenz betrifft.
Sie erkennen viel Potenzial im Markt. Microsoft Schweiz soll nicht nur vielfältiger und nachhaltiger werden, sondern auch die eigene Kundschaft besser verstehen können. Wie gelingt das?
Als ich vor drei Jahren meine neue Funktion übernommen habe, verfügte die Schweiz lediglich über zwei Datacenter. Inzwischen existieren deren vier, welche mit neuesten KI-Technologien ausgestattet sind. Inzwischen konnten wir mehr als 50 000 Kundinnen und Kunden für unsere Cloud-Dienste gewinnen. Sie sind darauf bedacht, dass ihre Daten das Land nicht verlas- sen. Auch die künstliche Intelligenz steht immer mehr im Fokus. Bereits über 200 Schweizer Unternehmen und Start-ups nehmen KI von Microsoft in Anspruch. Entsprechend ist es notwendiger geworden, in die Geschäftsprozesse und Wertschöpfungsketten unserer Kundschaft einzusteigen und die Industrieexpertise sukzessive aufzubauen. Personen, die sich in unterschiedlichen Spezialgebieten bewegen, können eine leichtere Brücke schlagen zwischen der Industrie und der Technologie.
Der Fortschritt steht im Zentrum als Grundlage für die digitale Transformation, die eine globale Veränderung mit sich bringt. Welche Entwicklung ist zu erwarten?
Einer der Gründe, weshalb ich bei Microsoft Schweiz eine Führungsposition übernommen habe, ist darauf zurückzuführen, dass sich das Unternehmen nicht nur mit Chancen sondern auch mit Risiken auseinandersetzt. Die Entwicklungen sollten jedoch stets mit Argusaugen beobachtet werden. Zum Beispiel haben wir vor zwei Jahren im Bereich der künstlichen Intelligenz unsere Verantwortungs-Prinzipien lanciert, die wir weiterentwickeln und mit unserer Kundschaft besprechen.
Ihr Unternehmen hat sich auch vorgenommen, bis 2030 CO2-neutral zu agieren und bis 2050 einen Ausgleich zu erzielen. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben.
Ich lege grossen Wert darauf. Kürzlich haben unsere Sustainability-Officer Workshops mit unserer Kundschaft durchgeführt. In der Schweiz arbeiten wir eng mit Start-up-Unternehmen, wie zum Beispiel Climeworks oder Neustark, zusammen, die sich mit dem Thema beschäftigen, und auch die Kooperation mit Jungunternehmen in der Region wurde intensiviert. Dasselbe gilt für die Datacenter, die wir implementiert und die Kapazität in den letzten Jahren mehr als verdoppelt haben. «Möglichst lokale Lösungen schaffen», lautet das Motto.
Finden Sie diese eher hinderlich?
Sie sollten durchlässig sein. Ich hole meine Informationen nicht nur von meinem Leadership-Team, sondern suche auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Gespräch. Zentral ist, aktuell zu bleiben und sich nicht in eine Isolation zu begeben.
Stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Mensch im Zeitalter der KI irgendwann ersetzbar ist?
Diese wird tatsächlich den beruflichen Alltag ein Stück weit auf den Kopf stellen und einzelne Branchen verändern. Neue Berufsbilder dürften künftig geschaffen werden. Aber trotzdem denke ich nicht, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ernsthafter Gefahr befinden. Neue Technologien rufen bei vielen Personen Skepsis und Unsicherheiten hervor. Deshalb gilt es zu betonen, dass die KI im Sinne des Menschen reguliert und kontrolliert werden muss. Für uns ist klar, dass das Individuum in der Verantwortung steht. Darum nennen wir unsere KI-Dienste auch Copilot.
Fakt ist jedoch, dass viel Energie notwendig ist, um Datacenter-E-Mail-Server, Videokonferenzen und Cloudlösungen zu betreiben, was sich auch auf die Umwelt auswirkt. Wie lässt sich eine Optimierung erreichen?
Der erste Schritt besteht darin zu erkennen, dass Kundinnen und Kunden ihre Datacenter nicht mehr selbst bewirtschaften, sondern die Dienstleistung von uns oder anderen einkaufen. Dies führt meist schon zu einer Energieeinsparung. Die Center sollen mit grüner Energie versorgt werden können, und als Wirtschaftsunternehmen müssen wir darum bemüht sein, das auch langfristig durchzusetzen.
Stichwort Verantwortung: Sie haben einmal gesagt, Ihre Führungsposition ziele darauf ab, dass ein Team gut funktioniere. Können Sie das näher erläutern?
Führungspositionen wandeln sich in unserer stetig komplexeren Welt, und einen umso wichtigeren Platz nimmt die Zusammenarbeit sowie die Diversität ein. Unterschiedliche Sichtweisen und Herkünfte sind notwendig, um komplexe Themen lösen zu können. Das kontinuierliche Lernen spielt ebenso eine Rolle. Es ist durchaus erlaubt, auch einmal etwas nicht zu verstehen oder ein Problem nicht sogleich zu erkennen. Diese Dynamik muss in einem Team ausgehalten werden. Unser Zeitalter erfordert eine rasche Anpassung im Hinblick auf rasante Entwicklungen. Wir pflegen zudem eine Kultur, in der flache Hierarchien gelebt werden.
Die Investmentbank Goldman Sachs hat ausgerechnet, dass die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz dazu führen könnten, dass 300 Millionen Arbeitsplätze weltweit teilweise oder ganz automatisiert werden. Kann man damit rechnen, andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden?
Man sieht beispielsweise bei Microsoft Copilot, einem KI- Assistenten für Programme wie Excel, Word oder Teams, ganz klar, dass der Hauptlenker immer noch derjenige ist, welcher die wesentlichen Entscheidungen trifft. Der Copilot kann lediglich eine unterstützende Funktion übernehmen. Im Bereich der Arbeitswelt kann dieser beispielsweise dazu dienen, Korrekturen umzusetzen.
Grosse Sprachmodelle (Large Language Models), die einen Text auf menschenähnliche Weise erzeugen, können den Zugang zu Informationen verbessern und die Arbeitsleistung steigern. Es ist von grosser Bedeutung, dass wir uns die Zeit nehmen, die Funktionsweisen dieser neuen Technologien zu verstehen und zu erklären. Der Zugang zu Plattformen und Informationen sowie die Bedienung von Maschinen soll erleichtert werden.
Wie viel Zeit sparen Sie durch KI-Unterstützung?
Die künstliche Intelligenz ist in der Lage, Inhalte in kürzester Zeit zusammenzufassen. Ich greife regelmässig auf die Co-pilot-Einstellungen zurück, und dazu gehören auch meine Meetings, die ich noch einmal vergegenwärtige, was stets auch eine Verbesserung im Zusammenhang mit Gesprächen mit sich bringt. Dank diesem digitalen Support kann sich der Mensch auf die konzeptionelle und strategische Arbeit im Hintergrund fokussieren.
Themenwechsel: Sie engagieren sich seit vielen Jahren für Inklusion am Arbeitsplatz und setzen sich in verschiedenen Gremien dafür ein, dass die Präsenz von Frauen in Führungspositionen erhöht werden soll. Wo besteht noch Verbesserungspotenzial?
Auf jeden Fall ist da noch Luft nach oben. Bei uns sind weibliche Führungskräfte zu 30 Prozent vertreten. Insofern sieht die Entwicklung erfreulich aus. Meine internationalen Erfahrungen ermöglichen mir, einen umfassenderen Blick auf das Arbeitsumfeld zu werfen. Das heisst, wie gehe ich auf die Mitarbeiterschaft ein und inwiefern verändern sich die Herausforderungen für die weiblichen Fachkräfte in bestimmten Lebenslagen. Deshalb bemühen wir uns, vielfältige Arbeitsmodelle zu schaffen mit dem Ziel, den unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnissen gerecht zu werden.
Wie können sich Frauen in Unternehmen besser positionieren?
Wenn jemand beispielswiese in einem Meeting ruhig wirkt, stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder sage ich der Person, sie soll sich öfter zu Wort melden oder ich schaffe es, eine Sitzung so zu gestalten, dass sich sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbringen können. Frauen dürften zugegebenermassen manchmal mutiger auftreten. Als Führungsperson kann ich im Rahmen eines Dialogs jedoch motivierende Worte sprechen, unabhängig davon, um welches Geschlecht es sich handelt.
Stellen Sie sich zuweilen auch einmal selbst in Frage?
Natürlich, Selbstzweifel sind normal. Wichtig ist es, diese zu analysieren und letzten Endes zu überwinden.
Sie sind Mutter zweier Söhne. Wie haben Sie den Spagat zwischen Beruf und Familienleben geschafft?
Prioritäten habe ich stets klar gesetzt: Die Familie hat Vorrang. Zwar nimmt meine Arbeit ebenfalls einen wichtigen Platz ein, aber wenn es zeitlich eng wird, muss man auch einmal Termine verschieben. Meine Entscheidung, in die Schweiz zu ziehen, hing auch damit zusammen, dass meine Kinder nun beide studieren und selbstständig sind. In meiner knapp bemessenen Freizeit lese ich gerne und tanke neue Kraft in der freien Natur. ★
Catrin Hinkel wurde 1969 geboren und ist deutsche Staatsbürgerin. Für ihre Tätigkeit als CEO von Microsoft Schweiz hat sie ihren Wohnsitz 2021 in die Schweiz verlegt. 1992 schloss sie ihr zweisprachiges Studium an der Universität Reutlingen (European Business School in Reutlingen und London) ab. Nach ihrem Abschluss trat sie in die global tätige Unternehmensberatung Accenture ein, wo sie in verschiedenen Funktionen tätig und zuletzt als Senior Managing Director für den Bereich Cloud First Strategy &Consulting in Europa verantwortlich war. Im Jahr 2007 trat sie der Geschäftsleitung von Accenture Deutschland bei. Catrin Hinkel verfügt über reichhaltige Berufserfahrung aus Kundenprojekten in unterschiedlichen Industrien. Sie ist zudem Mitglied und Sprecherin des Vorstandes von Generation CEO, einem gemeinnützigen Verein und etablierten Netzwerk für Top-Führungsfrauen im deutschsprachigen Raum.