Lavinia Heisenberg ist theoretische Physikerin, arbeitet und forscht an der Verbesserung von Einsteins Relativitätstheorie. Ein grosser Brocken, an den sich die 37-Jährige wagt. Und sie will noch höher hinaus: Ende März hat sie bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA ihre Unterlagen eingereicht, um sich als ESA-Astronautin zu bewerben.

Nach über einem Jahrzehnt hat die ESA im März ein neues Rekrutierungsverfahren für künftige Astronautinnen und Astronauten gestartet. Die Stellen sind begehrt und die zu erfüllenden Anforderungen taff. Beim letzten Rekrutierungsverfahren gab es 10 000 Kandidaten – für gerade einmal vier Stellen. Doch genau auf diese Gelegenheit hat Lavinia Heisenberg gewartet. Ins All zu fliegen, war schon immer ihr Traum. Träumerei allein liegt der 37-Jährigen aber nicht. Heisenberg ist Professorin an der ETH in Zürich. Die junge Forscherin hat bereits eine beeindruckende Liste an Publikationen veröffentlicht. Mit ihrer Forschungsgruppe versucht Heisenberg, Einsteins bekannte Relativitätstheorie zu verbessern. Damit wagt sie sich auf heikles Terrain. Schliesslich geht es um die Theorie von Albert Einstein persönlich. Als Frau in der Wissenschaft weiss sie aber, wie mit Widerständen umgehen und möchte anderen Frauen umso mehr ein Vorbild sein.

WOMEN IN BUSINESS: Frauen sind in der Wissenschaft in führenden Positionen nach wie vor in der Minderheit. Woran liegt das und wie schwierig ist es, sich als Frau in der Wissenschaft durchzusetzen?
Lavinia Heisenberg: Leider gleichen sich die gesellschaftlichen Geschlechterunterschiede nur langsam aus. In den meisten Köpfen gibt es nach wie vor versteckte, teils unbewusste Vorurteile über die Fähigkeiten der Frauen – vor allem in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Selbst heutzutage ist eine wissenschaftliche Karriere für Frauen schwierig – oder zumindest härter als für Männer. Hinzu kommt, dass Frauen sich oftmals schlechter verkaufen als Männer. Da schliesse ich mich mit ein. Ich merke selbst, in einer grossen Diskussionsrunde mit lauten, selbstbewussten Männern werde ich automatisch leiser, beobachte lieber und ziehe mich zurück. Daran können und müssen wir arbeiten. Doch dass das Selbstvertrauen von Frauen oftmals schwächer ist als das von Männern, kommt nicht von Ungefähr. Es hängt stark von der Gesellschaft und der Erziehung ab. Es braucht noch etwas Zeit und Vorbilder, bis sich das in den Köpfen ändert.

Und doch haben Sie einen eindrücklichen Werdegang hingelegt.
Heute bin ich überzeugt, dass es ohne meinen starken Willen nicht immer möglich gewesen wäre, nach vorne zu blicken und weiterzumachen. Ich musste mich oft wieder auf die Füsse hieven. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Was ist Ihr grösster Antrieb zu forschen?
Seit meiner Kindheit bin ich von Neugier und Wissbegierde getrieben. Soweit ich mich erinnern kann, wollte ich immer verborgene Ursachen entdecken. Die Vielfalt der Natur, ihre Farben und Strukturen haben mich fasziniert, ich wollte sie verstehen und analysieren. Ganz besonders haben es mir die Vielfalt astrophysikalischer Phänomene und die Dynamik des gesamten Universums angetan. Heute forsche ich täglich in diesem Bereich.

Was können Sie anderen Frauen aus Ihren Erfahrungen mit auf den Weg geben?
Sie müssen an sich glauben und nicht so leicht aufgeben. Selbstzweifel ist der grösste Feind. Sie sollen verschiedene Dinge ausprobieren, neue Fähigkeiten entwickeln und so Selbstbewusstsein aufbauen. Ein starker Wille ist wichtig. Und noch wichtiger ist es, träumen zu dürfen. Natürlich spielen Vorbilder eine wichtige Rolle. So, wie ich zu meiner Doktormutter aufschauen konnte oder heute von der Rektorin der ETH, Sarah Springman, profitiere, versuche ich, jungen Studentinnen denselben Rückhalt zu geben. Ich möchte sie gerade zu Beginn an der Hand nehmen, weil es für die ersten Schritte immer am meisten Mut braucht.

Sie forschen zur Schwerkraft, zu den fundamentalen Gesetzen der Bewegung in der Natur. Können Sie eine Brücke schlagen zur profanen Alltagsmobilität?
Im Vergleich zu unserer Alltagsmobilität sind die kosmischen Entfernungen so gross, dass wir sie uns schwer vorstellen können. Das nächste Sonnensystem ist 4,3 Lichtjahre entfernt. Mit unseren momentan schnellsten Raketen würden wir 650 Jahre brauchen. Wenn wir Lichtgeschwindigkeit erreichen könnten, dann würden wir nur 4,3 Jahre brauchen. Wer weiss, ob wir einmal solche Geschwindigkeiten erreichen können. Dafür müssten die Fahrzeuge den Raum selbst verändern können. Das mag im ersten Moment abstrakt klingen, aber genau darum geht es vereinfacht gesagt in Einsteins Relativitätstheorie – um die Veränderung des Raum-Zeit-Kontinuums.

Können Sie sagen, inwiefern Ihre Ergebnisse zu einer verbesserten oder neuen Art von Mobilität beitragen?
Es ist leider so, dass Grundlagenforschung in der Regel nicht sofort eine Anwendung für die Menschheit hat. Als Einstein damals seine Theorie der Schwerkraft entwickelte, war kein Bedarf oder keine direkte Anwendung vorhanden. Heute, 100 Jahre später, könnten wir ohne seine Theorie und GPS-Geräte kaum mehr auskommen. Könnten wir Einsteins Theorie weiter verbessern, würde das sicher Einsichten auf neue Energieformen oder Transportmöglichkeiten geben. Man kann sich die Veränderung des Raum-Zeit-Kontinuums mit einem Luftballon mit Punkten vorstellen. Wenn man diesen aufbläst, werden die Abstände zwischen den Punkten grösser, obwohl die Punkte am selben Ort bleiben. Ändern sich also Raum und Zeit selbst – so wie beim Luftballon – können sich Objekte schneller bewegen, ohne sich in der Tat schneller fortbewegen zu müssen. Würden wir also eine Technologie entwickeln, die dieses Raum-Zeit-Kontinuum beeinflussen könnte, würden wir andere und vor allem schnellere Transportmittel entwickeln. Das ist aber Zukunftsmusik.

Abschliessend von der Alltagsmobilität zur Raumfahrt: Ihr Traum ist es, Astronautin zu werden und ins All zu fliegen. Was fasziniert Sie so sehr daran?
Der Wunsch ins Weltall zu fliegen, hat meinen gesamten Werdegang geprägt. Natürlich wäre es sehr schön und bereichernd, die Schwerelosigkeit zu erleben. Aber es steckt viel mehr dahinter. Als Wissenschaftlerin sehe ich mich in der Pflicht, die Grenzen des menschlichen Wissens voranzutreiben. Darüber hinaus würde ich damit gerne junge Menschen inspirieren und vor allem junge Frauen motivieren, eine naturwissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.

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und She’s Mercedes

Ob im Raumschiff oder doch etwas alltäglicher im Auto unterwegs: Mobilität prägt unser Leben. Die Frage, wie wir uns in Zukunft sicher, effizient und umweltfreundlich fortbewegen, beschäftigt viele von uns – auch die Initiative She’s Mercedes von Mercedes-Benz. Sie ermöglicht es Frauen in über 70 Ländern, in Kontakt zu kommen, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu stärken. In der Schweiz widmet sich She’s Mercedes in der Eventreihe «The Holistic Lifestyle Experience» den vier Kernthemen Move, Mind, Body und Nutrition. Als Partnerin von She’s Mercedes stellt WOMEN IN BUSINESS künftig in jeder Ausgabe eine Pionierin aus einem dieser vier Themenbereiche vor. Ganz im Sinne unseres Anliegens spannende Frauen und ihre herausragenden Werdegänge zu würdigen, ihre Erfahrungen aufzuzeigen und sie gleichzeitig als Inspirationsquelle zu nutzen.

Mehr zum Magazin und zu den Events von She’s Mercedes in der Schweiz finden Sie im Newsletter mercedes-benz.ch/shesnewsletter-de sowie unter mercedes-benz.ch/shes.

 

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