Diandra Donecker ist eine der jüngsten führenden Kunsthändlerinnen Europas. Im Interview sagt sie, worin für sie der Reiz des Kunsthandels liegt und was der Adrenalinkick im Auktionssaal auslöst.
Kürzlich machte das deutsche Auktionshaus Grisebach mit einem spektakulären Coup von sich reden: der Versteigerung von Max Beckmanns «Selbstbildnis gelb-rosa» aus dem Jahre 1943. Das Selbstporträt des Leipzigers, das in seinem Exil in Amsterdam entstand, war ein Glanzlicht der Auktionssaison. Der Kunsthandel ist diskret, aber so viel weiss man: Das Werk stammt aus einer Schweizer Privatsammlung. Und es sollte für einen zweistelligen Millionenbereich den Besitzer wechseln.
An der Spitze von Grisebach steht Diandra Donecker. Die smarte, international ausgebildete Kunsthistorikerin hat das Haus seit 2019 einer Erfrischungskur unterzogen und versteht es, Grisebach immer wieder in eine intellektuell-prickelnde Kultureventbühne zu verwandeln. Sie weiss, was sie ihrem Publikum schuldet. Denn, wie sie einmal sagte: «Eine Auktion ist auch eine Theaterinszenierung.»
Wie kein anderes Metier gründet der Kunsthandel auf einem exzellenten Beziehungsnetz und langjähriger Erfahrung. Umso mehr liess in der Branche aufhorchen, als die Frankfurterin im Alter von erst Anfang dreissig zur leitenden Geschäftsführerin und Partnerin eines der angesehensten Auktionshäuser Deutschlands mit Sitz in Berlin (und mit einer Filiale in Zürich) erkoren wurde. Zum Zeitpunkt des Interviews ist sie mit ihrem Team in den Endzügen der Katalogisierung für die Dezember-Auktionen. Donecker, die das Haus mit rund 60 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 50 Millionen Euro leitet, wirkt nahbar, natürlich, unprätentiös, «hands-on».
WOMEN IN BUSINESS: Sie stehen mitten in den Vorbereitungen zu der Dezember-Auktion. Wie bringt man eigentlich jedes Mal einen Katalog voll? Es heisst ja, eine Auktion lebt von den drei D: Death, Debt und Divorce? Das hiesse ja, die Werke kommen automatisch zu Ihnen?
Diandra Donecker: 70 Prozent der Einlieferungen ergeben sich aus aktiver Akquisition. D. h. für alles, was Sie in unseren Katalogen finden, kam die Initiative von uns aus. Nur die Werke im Schätzwert unter 10 000 Euro und diejenigen für unsere Online-Auktionen kommen automatisch zu uns. Mit anderen Worten. Der Prozess ist jedes Mal mit derselben grossen Spannung verbunden, der immer wieder aufs Neue dieselbe Erleichterung folgt.
Sie wurden mit 30 zur Geschäftsführerin von Grisebach gewählt. Wie steigt man so jung und schnell auf in einem Berufsfeld, das doch so stark von Beziehungen und langjährigen Erfahrungen lebt?
Nach meinem Kunstgeschichtestudium hat es mich schnell in Richtung Handel gezogen. Während und nach meinem Studium habe ich in Galerien, an Messen und in Museen zig Praktika gemacht. So entstand früh ein Netzwerk, auf das ich heute zurückgreifen kann. Ich habe sehr rasch Mentoren gefunden, die mich gefördert, aber auch stark gefordert haben, zum Beispiel Marie Christine Graefin von Huyn, die Geschäftsführerin von Christie’s in München. Mit dem Mehrheitseigner von Grisebach hatte ich ausserdem das Glück, dass er die Vision hatte, jetzt die junge Generation nachrücken zu lassen, um die Zukunft von Grisebach zu definieren. Dass ich so jung in dieser leitenden Rolle bin, funktioniert aber nur, weil meine geschätzten Kollegen und Partner, Micaela Kapitzky und Markus Krause, mit grosser Erfahrung um mich herum sind, die mit mir den Blick nach vorne wagen.
Sie sind aber auch schon für Ihre eigene Sekretärin gehalten worden. Wie gingen Sie mit der anfänglichen Skepsis um?
Interessanterweise fühlte ich mich intern von Beginn an unterstützt. Aber von aussen gab es doch einige kuriose Momente. Ich war ja unbekannt, und viele fragten verwundert, wer ich bin und warum ich so schnell nach oben komme. Es gab auch skurrile Momente. Einmal nahm ich einen Kunden in Empfang, der sagte, «Schön, nun bringen Sie mich doch gerne zu Frau Donecker». Ein anderer meinte: «Machen Sie mir bitte meinen Kaffee schwarz». Beide meinten wohl, ich sei meine Sekretärin. Aber das ärgerte mich nicht. Ich fand es eher lustig.
Worin liegt für Sie denn der Reiz des Kunsthandels? Sie waren ja am Metropolitan Museum und im British Museum und hätten ebenso gut eine Museumskarriere einschlagen können.
Was mich am Auktionswesen fasziniert, ist der Adrenalinkick, und dass man jede Saison mit anderen Kunstwerken zu tun hat. Durch die verschiedenen Einlieferungen begegnet man ständig neuen Kunden. Man muss sich immer wieder neu einarbeiten, und manchmal gibt es eine Entdeckung, eine Weltneuheit. Bei uns arbeiten 40 Kunsthistoriker mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Mich mit ihnen auszutauschen, bereichert mich ungemein. Ich lerne dabei ständig Neues hinzu. Ich könnte es negativ ausdrücken, und sagen, ich bin manchmal ungeduldig und ruhelos. Aber das Auktionswesen passt wohl genau deswegen zu mir. Denn wir müssen sozusagen alle sechs Monate das Rad neu erfinden, d.h. wieder Kataloge von neuem produzieren. Ein Problem hätte ich, wenn ich zehn Jahre lang am selben Projekt sein müsste. Dazu wäre ich untauglich.
Welche Erfahrungen haben Sie aus dem Ausland mitgebracht?
Die angelsächsische Museumsarbeit ist viel dynamischer und zu andern Feldern im Kunstbereich viel durchlässiger als hier in Deutschland. Man hat viel mehr Kontakt zu Sponsoren und zu Händlern. Dort ist das Museum quasi Teil des Marktes, und auch der ständige Kontakt zu Sammlern gehört dazu. In Deutschland sind die Grenzen weniger durchlässig.
Welche neuen Akzente setzten Sie, als Sie die leitende Geschäftsführung übernahmen?
Das Erste, was ich dachte, als ich hierherkam, war: Was ist das für eine wunderschöne Villa, aber warum ist hier so wenig los. Ich dachte, wir müssten es lebendiger machen, das Haus mit Veranstaltungen gegen aussen öffnen, auch die Terrasse und den Garten bespielen. Ich wollte Schwellenängste abbauen und eine neue, jüngere Klientel anziehen. Wir machen jetzt praktisch jede Woche eine Veranstaltung, zum Beispiel mit dem Comic-Zeichner Philipp Deines, der das Buch «Die 5 Leben der Hilma von Klingt» herausgab, oder dem Regisseur Lars Kraume. Der zweite Aspekt, auf den ich mein Augenmerk legte, war die Digitalisierung. Einerseits haben wir unseren digitalen Auftritt verstärkt und – während des coronabedingten Lockdowns – einen Podcast «Die Sucht zu sehen» mit der renommierten Autorin Rebecca Casati entwickelt. Andererseits bieten wir Online-Only-Auktionen an, für Editionen und Grafik sowie Werke bis 3000 Euro. Unsere Fotografie-Auktionen finden seit diesem Herbst nur noch online statt. Wir haben nämlich gemerkt, dass unsere Klientel gerade stark in der Schweiz, Frankreich und den USA vertreten ist und den gedruckten Katalog und die Live-Veranstaltung der Auktion im Bereich Fotografie nicht mehr so nachfragen. Die Abendauktionen für Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts sind aber immer noch ein gesellschaftliches Event hier in Berlin und heiss begehrt.
Gibt es auch Schattenseiten der Digitalisierung?
Sie ist ja auch verantwortlich dafür, dass es eine grosse Beschleunigung gibt – und das in einem Bereich, wo es doch eigentlich um Kontemplation und die solide Konsolidierung von kulturellen Werten gehen müsste. Die Frage ist richtig und wichtig. Man muss immer wieder darüber neu nachdenken. Einerseits kommt man heute um das Digitale nicht mehr herum. Man muss heute verstanden haben, dass der Kunde nicht mehr automatisch nach Berlin kommt, und es der globale Markt gar nicht anders erlaubt. Andererseits können Online-Auktionen dazu führen, dass ein Kunde aus der Ferne nur noch nach seinem Stichwort sucht, beispielsweise nach Lucio Fontana – und ihm dadurch Entdeckungen entgehen. Das ist schade, denn Kunst ist ja nichts anderes als eine Bildquelle, über die wir etwas über unser Menschsein erfahren. Aber wir versuchen, mit unseren Kunden so viel zu interagieren wie nur möglich.
Es ist immer wieder von neuen Käufergruppen die Rede, die in der Kunst ein Investment sehen. Machen Sie diese Erfahrung ebenfalls?
Ich denke auch, dass der Investitionsgedanke zugenommen hat. Das Volumen des Kunstmarkts hat sich auch stark vergrössert, und damit auch seine Teilnehmer. Man merkt beispielsweise, dass die Kunden sehr gut vorbereitet sind, was die Preisschätzungen anbetrifft. Viele nutzen den Zugang zu den Preisdatenbanken wie Artnet. Heute verfügen viel mehr Menschen über finanzielle Mittel, in Berlin gibt es eine starke Start-up-Kultur, da kommt schon mal der 35-Jährige zu uns, der schon eine Million Euro hat, und uns um unsere Meinung fragt. Ich betrachte es als unseren Job, mit ihm in ein Gespräch zu kommen – nicht nur darüber, was ihm spontan gefällt, sondern darüber, womit er sich sonst beschäftigt.
Die breite Masse nimmt Auktionen vor allem über die sagenhaften Preise wahr und begegnet Millionen-Beträgen auch mit Unverständnis. Spiegelt der Preis die Qualität des Werks?
Nein. In den meisten Fällen spiegelt er das Begehren von mindestens zwei Menschen, die für ein bestimmtes Werk bieten – und nicht mehr und nicht weniger. Sässe der eine zum Zeitpunkt der Versteigerung im Flugzeug und hätte die Auktion vergessen, kriegt der andere das Werk zum tieferen Schätzwert. Darin liegt letztlich auch gewissermassen die Brutalität des Marktes. Der Bürger merkt allerdings schon durch die hohen Zuschläge, die etwa ein Werk von Emil Nolde, von Gerhard Richter oder von Andy Warhol erhalten, dass einem Künstler ein besonderer Wert beigemessen wird. Dennoch: Der Preis spiegelt vor allem einen Moment wider. Etwas zugespitzt formuliert und bestimmte Raritäten ausser Acht gelassen: Morgen könnte das Resultat schon wieder ein anderes sein.
Letztes Jahr ersteigerte das Kunstmuseum Den Haag Max Beckmanns «Badende» für 2,3 Millionen Euro bei Grisebach. Hätte ein Scheich aus Abu Dhabi mehr bezahlt, wäre die Allgemeinheit um ein Kunstwerk ärmer.
Absolut. Deshalb ist es auch bei spektakulären Arbeiten wichtig, wenn sie von öffentlichen Museen angekauft werden. Wir sind der Markt. Somit kann jeder kommen, der will, und ein Werk ersteigern, wenn er das Geld dazu hat. Aber man darf nicht vergessen: Viele Privatsammler geben ihre Werke ja als Leihgaben in Ausstellungen, und auf diese Weise hat jedermann Zugang dazu. Auktionshäuser haben in den letzten Jahren viel von der Luxusgüterindustrie gelernt und verwandeln Kunstwerke in Objekte der Begierde, indem sie sie aufwändig inszenieren, und in glamourösen Events präsentieren.
Dürfen wir ketzerisch sein: Hat Kunst diese Form von Auratisierung überhaupt nötig?
Ich glaube nicht, dass das Kunstwerk sie nötig hat. Aber das Publikum hegt schon bestimmte Erwartungen. Ein gutes Bild kann man, salopp gesagt, an jede Betonwand hängen, und der Kenner würde es trotzdem erkennen und verstehen. Aber wir bewegen uns in einem Umfeld, in welchem die Klientel es gewohnt ist, auf eine bestimmte Art angesprochen zu werden. Sie erwarten ein bestimmtes Environment, eine bestimmte Form der Präsentation. Denken wir daran, wie in der Mode und im Design, oder auch in der Automobilbranche, präsentiert wird, wie man im Digitalen an die Dinge heranzoomen und von allen Seiten her betrachten kann. Da liegt es auf der Hand, dass man auch die Erfahrung der Kunst aus der Ferne ganz nah an die Menschen heranbringen will. Das Kunstwerk ist und bleibt aber das Herzstück, und das Drumherum sind die Glitzerpunkte, die den Zugang schaffen.
Sammeln Sie auch selbst Kunst?
Ja. Mein privates Interesse gilt Zeichnung und Grafik. Ich mag zum Beispiel Hermann Glöckner, einen deutschen Konstruktivisten, der während der DDR nicht anerkannt wurde, sehr gerne, oder Gary Kuehn. Ich besitze auch eine Fotografie von Alfred Stieglitz, die er von der Fotografin Dorothy Norman gemacht hat.
Hätten Sie unbeschränkte Mittel zur Verfügung, was würden Sie gerne erwerben?
Oh, ich glaube das würde täglich wechseln. Im Moment hätte ich wahnsinnig gerne ein Bild der amerikanischen Künstlerin Helen Frankenthaler! Vermutlich hätte ich jeden Tag eine andere Antwort. ★
Diandra Donecker
Diandra Donecker wurde 1988 als Tochter einer Kunsthistorikerin und eines Fotografen in Frankfurt am Main geboren und studierte Kunstgeschichte in München, wo sie ihre Magisterarbeit über niederländische Druckgrafik verfasste. Nach Volontariaten am Metropolitan Museum in New York, im British Museum in London und bei der renommierten Kunsthandlung Katrin Bellinger, sammelte die Kunsthistorikerin weitere Berufserfahrung bei Karl & Faber und bei Christie’s in London. Seit 2017 arbeitet sie für Grisebach in Berlin, zunächst als Leiterin der Abteilung für Fotografie, ab 2019 als Geschäftsführerin und Partnerin.
Grisebach
Grisebach wurde 1986 von Bernd Schultz in Berlin gegründet, mit dem Ziel, an die grosse kulturelle und künstlerische Geschichte der Stadt anzuknüpfen. Das Haus ist spezialisiert auf Kunst des 19., 20. und 21. Jahrhunderts und eines der führenden Kunstauktionshäuser Europas.
Foto: Markus Jans