Wer Lucia Silvestri in ihrem Büro in Rom besucht, muss erst eine Sicherheitsschleuse passieren – und dann einen Schrank von Mann mit Bürstenfrisur und Knopf im Ohr. Er steht breitbeinig neben dem Eingang, nickt zum Gruss und versteinert wieder. «Eine Vorschrift», erklärt Silvestri, «sonst könnte ich hier ja niemanden empfangen». Das «Hier» verziert sie mit einer kleinen Handbewegung zum grossen Tisch in der Mitte des Raums. Seine Oberfläche ist weiss und mit Juwelen in allen möglichen Farben, Grössen und Formen übersät. Und bald werden es noch viel mehr: Lucia Silvestri wird in den nächsten Wochen nach Genf, New York, Hongkong, Sri Lanka und Indien reisen auf der Jagd nach Edelsteinen. Das ist ihr Job Nr. 1 beim römischen Juwelier Bulgari. Die Steine in Colliers, Ohrringen, Armbändern und Schmuck miteinander ins Spiel zu bringen, ihr Job Nr. 2: Sie designt jedes Jahr die Preziosen der High-Jewellery-Kollektion des Hauses.
WOMEN IN BUSINESS: Frau Silvestri, es ist ein ganz normaler Montag, Sie sitzen im Büro und Sie tragen unglaublich viel Schmuck.
Lucia Silvestri: Wie kommen Sie darauf, dass das ein ganz normaler Montag ist? Ich gebe heute dieses Interview, werde über mich und meine Arbeit erzählen. Ohne Edelsteine zu tragen, kann ich das nicht.
Im Ernst?
Ganz im Ernst. Ich liebe meinen Job von ganzem Herzen, er ist meine Leidenschaft. Wenn ich von Edelsteinen umgeben bin, fühle ich mich sehr glücklich. Ich habe gerade vorhin beim Lunch mit Herrn Bulgari darüber gesprochen. Er fragte mich, ob ich immer noch das gleiche Gefühl habe wie damals, als ich angefangen habe. Ich habe geantwortet: Oh ja, dieses Gefühl ist immer noch genau gleich da.
Wie war denn der Anfang?
Ich bin zu Bulgari gekommen durch meinen Vater. Er war die rechte Hand von Paolo und Nicola Bulgari, den Enkeln von Sotirios Voulgaris, der das Unternehmen im Jahr 1884 gegründet hatte. Es ging um eine Stellvertretung für eine Mitarbeiterin im Mutterschaftsurlaub. Zu dieser Zeit studierte ich Biologie, war mit einem Arzt verlobt und hatte vor, mit ihm eine Praxis zu eröffnen.
Es kam offensichtlich anders.
Ja. Ich habe mich in die Edelsteine verliebt, als ich das erste Mal bei den Herren Bulgari im Büro war. Es stand da ein Tisch wie meiner, der mit Edelsteinen übersät war, und ich habe sofort verstanden, dass dieser Tisch mein Schicksal ist. Die Brüder haben gemerkt, was in mir vorgegangen ist und das Glück wollte es, dass sie genau zu der Zeit auf der Suche waren nach jemand Jüngerem, den sie aufbauen konnten. Sie haben mir angeboten, mich ins Geschäft einzuführen. Ich habe sofort zugesagt.
Was geschah mit Studium, Verlobtem, Praxis?
Das war alles vergessen. Stattdessen bin ich mit den Bulgaris um die Welt gereist und habe den Edelstein-Einkauf kennengelernt. Und vor allem: Ich habe verhandeln gelernt.
Erzählen Sie!
Wenn wir auf unseren Reisen Steine ausgewählt hatten und es schliesslich um den Preis ging, hiess es damals – also vor über 40 Jahren – immer, wir wollen mit Herrn Bulgari reden. Der ist nicht darauf eingestiegen, sondern hat mich machen lassen. So bin ich zu meinem Alter Ego gekommen.
Das da wäre?
Mein Ruf eilt mir voraus: I’m sweet but tough. In Verhandlungen werde ich zum Tiger.
Was ist wichtig für Sie, wenn Sie Steine einkaufen?
Mein Gefühl. Manchmal kann ich einen Edelstein nicht kaufen, weil die Person, die den Stein verkauft, eine negative Energie hat. Es ist für mich sehr wichtig, dass die Chemie zwischen mir und dem Verkäufer stimmt.
Bekommen Sie immer, was Sie wollen?
Ganz, ganz selten kommt es noch vor, dass jemand nicht mit mir verhandeln will. Ich sage dann nur, okay, dann kaufe ich auch nichts, basta.
Und dann ist es gelaufen?
Nein. Oft ist das der erste Schritt auf dem Weg zu einer Einigung. Wissen Sie, Geduld ist in dem Geschäft eine Tugend.
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