Immer mehr Frauen peilen ein Mandat in einem Verwaltungsrat an, doch gilt es trotz Quotenzeitalter einige Hürden zu beachten. Wir haben uns mit den Verwaltungsrätinnen Carolina Müller-Möhl und Eunice Zehnder-Lai sowie dem Headhunter Guido Schilling über die notwendigen Voraussetzungen und Herausforderungen unterhalten.
«Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum» lautet das persönliche Motto des Headhunters Guido Schilling, ein Leitspruch, der durchaus auch als Ermutigung für ambitionierte Verwaltungsratskandidatinnen zu verstehen ist. Der Gründer der Schilling Partners AG, einer bekannten Adresse für Executive Search mit Sitz in Zürich, besetzt seit 1987 ausgesuchte Spitzenpositionen in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen von führenden Schweizer Firmen mit qualifizierten Kandidatinnen und Kandidaten. Er sagt: «Wer ein Verwaltungsratsmandat im Visier hat, muss nicht nur überzeugend auftreten, sondern sich auch geschickt ins Gespräch bringen.»
WOMEN IN BUSINESS: Guido Schilling, wie erleben Sie die Entwicklung der weiblichen Erwerbstätigkeit im oberen Kader?
Guido Schilling: In den 80er Jahren übernahmen Frauen in internationalen Industrieunternehmen kaum eine führende Rolle. Zwar waren Sätze wie «Taten statt Worte» bereits in den Köpfen verankert, doch nennenswerte Fortschritte, was die Durchmischung in Führungsteams betrifft, waren noch nicht zu verzeichnen. Ich war allerdings in einem Dienstleistungsunternehmen tätig, in welchen Frauen und Männer auf Augenhöhe kommunizierten. Die Firma wurde von einer Frau geführt, und der Geschlechterunterschied im Bereich Führungspositionen nahm keinen wichtigen Platz ein.
Das Thema Diversity wird inzwischen grossgeschrieben.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre hat sich die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt erst richtig durchgesetzt, doch so manche Frau dachte nicht daran, ihre sichere Position zugunsten eines Karriereaufstiegs aufzugeben. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Frauen Stabilität höher gewichten als eine kurzfristige berufliche Optimierung, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie auch familiäre Verpflichtungen übernehmen und sich nicht lediglich dem Beruf verschreiben möchten. Das soziale Umfeld spielt demnach ebenso eine Rolle wie die Familie und der geeignete Arbeitsweg im Sinne einer Balance.
Agieren Frauen demnach zu zaghaft?
Früher waren diese in Topmanagement-Positionen klar untervertreten auch aufgrund mangelnder weiblicher Vorbilder. Auch deren Mütter hatten in der Jahrtausendwende alten höhere Positionen angestrebt, doch zwanzig Jahre später hat sich das Rad gedreht, und die Ansprüche sind gestiegen. Die jungen Frauen treten heutzutage selbstbewusst auf, haben viel Zeit in ihre Ausbildung investiert und hegen den Anspruch, ihr Wissen nachhaltig umzusetzen. Das führt auch dazu, dass Männer anders eingebunden sind und das traditionelle Rollenmodell ausgedient hat. Die Firmen haben es sich zudem zum Ziel gesetzt, Frauen miteinzubeziehen, da sie deren Mehrwert erkannt haben. Zahlreiche Unternehmen haben erkannt, dass weibliche Anwärterinnen andere Anstellungsbedingungen benötigen, damit sie erfolgreich bleiben.
Wie sieht die Situation in den Verwaltungsräten aus?
Inzwischen sind viele qualifizierte Frauen in Verwaltungsräten tätig, und nicht alle müssen über eine Managementlaufbahn verfügen. Man kann beispielsweise auch im Bereich der Buchführung Erfahrungen gesammelt oder in einem Treuhandbüro gearbeitet haben, um sich zu qualifizieren. Da Verwaltungsratsmandate mit einem Pensum von 5 bis 10 Prozent verbunden sind, können auch Mütter eine solche Aufgabe übernehmen.
Welche weiteren Voraussetzungen sind notwendig, um in einem Verwaltungsrat bestehen zu können?
Beide Geschlechter müssen in fachlicher Hinsicht in die jeweilige Unternehmensführung passen und wissen, wie eine Firma geführt wird und eine Branchenkenntnis vorweisen können. Es kann sich auch um einen Kandidaten oder eine Kandidatin handeln, die das jeweilige Unternehmen zuvor extern beraten hat. Ein Verwaltungsratsmandat erhält man nicht primär via Stellenausschreibung, sondern insbesondere durch Anfragen aufgrund der eigenen Qualifikation.
Was unterscheidet Frauen von Männern im Bereich Führungspositionen?
Das «schwache Geschlecht» ist oft selbstkritischer als der männliche Bewerber, der entschiedener auftritt bezüglich Kompetenzen. Frauen hinterfragen auch ihre eigenen Leistungen und überlegen, weshalb ihnen eine Position zugetraut wird. Sie erkennen öfter die Risiken als die Chancen und orientieren sich stark an ihren persönlichen Erfahrungen. Sie überzeugen allerdings auch deshalb, weil sie teamorientiert sind, Gesellschaftsverantwortung übernehmen und auf empathische Art und Weise an Fragestellungen herangehen. Solche Eigenschaften sind auch künftig sehr gefragt. Nach wie vor gilt: Frauen wollen entdeckt werden. Sie drängen sich vor, was auch als Qualität gewertet werden kann, doch können sie dadurch auch übersehen werden. Sie dürften sich also ruhig mehr zutrauen.
Wie lassen sich potenzielle Verwaltungsrätinnen ermuntern?
Die Firmen sind sich zunehmend bewusst, dass es auf beide Geschlechter gleichermassen Rücksicht genommen werden muss. Früher hiess es oft, dass lediglich die Männer die Regeln bestimmen würden, doch haben diese allmählich gelernt, dass differenzierte Betrachtungsweisen zahlreiche Vorteile mit sich bringen im Hinblick auf geschäftliche Zielsetzungen. Künftig wird es immer mehr Unternehmen geben, die eine hohe Gender-Diversity in den Mittelpunkt stellen.
Sie publizieren jährlich den Schillingreport, in welchem über die Zusammensetzung der strategischen sowie operativen Leistungsgremien der Schweizer Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung Auskunft gegeben wird. Welches ist Ihre wichtigste Erkenntnis?
Bereits zum 17. Mal wird der Schillingreport publiziert. Mit 19 Prozent der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder und 30 Prozent Verwaltungsrätinnen zementiert der SMI seine Vorreiterrolle in Sachen Gender Diversity. In den Verwaltungsräten arbeiten die SMI-Unternehmen bereits auf einem Zielkorridor von 40 bis 60 Prozent Frauen hin. Bald jede zweite Position wurde im letzten Jahr mit Frauen besetzt. Man hat erkannt, dass es sich lohnt, diese zu fördern. In ein paar Jahren kann man diesbezüglich von einer breiten Akzeptanz sprechen.
Frauen müssen sich nicht nur geschickt ins Gespräch bringen, sondern auch gegen andere Interessentinnen konkurrieren können. Was bedeutet das im Zeitalter von Social Media?
Weibliche Führungskräfte im mittleren Management sind nahezu immer in sozialen Netzwerken erfasst. Allerdings nutzen sie berufliche Perspektiven oft weniger als die Männer, die sich im Gegenzug öfter für Projekte zur Verfügung stellen und dadurch entsprechend auffallen. Sie sind besser vernetzt, was zum beruflichen Erfolg beiträgt und von der Konkurrenz auch wahrgenommen wird. Nicht lediglich der blosse Eintrag bei Linkedin, dem sozialen Netzwerk zur Pflege bestehender Geschäftskontakte steht im Fokus, sondern vor allem die Bereitschaft, eine Extrameile zu gehen ausserhalb des beruflichen Umfelds.
Gelingt auch ein Einstieg in den Verwaltungsrat ohne beachtliche Karriere?
Man muss in erster Linie mitreden können und sich in einem Fachgebiet besonders gut auskennen, aber es kommt auch auf die jeweilige Funktion an. Wenn in erster Linie das Aktionariat vertreten wird, spielt das Fachgebiet keine zentrale Rolle und das Ziel besteht schliesslich darin, darauf zu achten, ob der Verwaltungsrat die Firma in die gewünschte Richtung bringt. Über wichtige Fragestellungen muss man jedoch kompetent mitdiskutieren können.
Zeigt sich die Männerwelt vermehrt verunsichert, wenn sich immer mehr weibliche Anwärterinnen durchsetzen?
Tatsache ist, dass die Männer nicht mehr automatisch berufen werden. Während diese früher in den Gremien übervertreten waren, spricht man heute von durchmischten Führungsteams. Es wird noch ein wenig dauern, bis sich die Gleichberechtigung in der Berufswelt langfristig etabliert hat. Der nachhaltige Erfolg eines Unternehmens, der wiederum Themen wie «Umwelt oder soziale Verantwortung» mit sich bringt, dürfte an Bedeutung gewinnen, und meist beschäftigen sich die Frauen besonders mit solchen Fragestellungen.
Guido Schilling
1987 trat der Betriebsökonom Guido Schilling als Partner in das 1980 gegründete Executive-Search-Unternehmen ein, welches heute unter dem Namen Guido Schilling AG firmiert. 2010 gründete er die Schilling Partners AG. Er ist spezialisiert auf die Besetzung von Positionen auf höchster Managementstufe und Verwaltungsratsmandaten. Zuvor war Guido Schilling in diversen Führungspositionen in internationalen Unternehmungen tätig. Einen Beitrag zur Transparenz in der Schweizer Wirtschaft leistet er seit 2006 jährlich mit dem «schillingreport» über die Zusammensetzung des Topmanagements der 100 grössten Schweizer Firmen.
Carolina Müller-Möhl gehört zu den engagiertesten und bekanntesten Unternehmerinnen und Verwaltungsrätinnen der Schweiz. Mit ihrer eigenen Foundation engagiert sie sich nicht nur im Bereich Bildung, sondern setzt sich auch aktiv für die Frauenförderung ein. Ihr liegt viel daran, gleichstellungsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und Brücken zwischen den unterschiedlichsten Akteuren zu schaffen.
WOMEN IN BUSINESS: Seit 22 Jahren leiten und präsidieren Sie die von Ihnen gegründete Müller-Möhl Group, deren Kernkompetenz im Investment Management liegt. Zudem waren Sie unter anderem Verwaltungsrätin der Nestlé SA und der Kühne Holding. Wie fanden Sie den Weg in den Verwaltungsrat?
Carolina Müller-Möhl: Meine berufliche Karriere kann als unkonventionell bezeichnet werden gespickt mit grossen Herausforderungen und zahlreichen Opportunitäten. Der Sprung in den Verwaltungsrat gelang mir bereits im Alter von 32 Jahren. In sämtlichen Mandaten war ich das jüngste und einzige weibliche Mitglied. Ich wurde stets angefragt und weil ich es stets als Chance wahrnahm, einerseits einen Beitrag zu leisten und andererseits dazuzulernen, bin ich heute in über 30 Mandaten engagiert. Es ist für mich nun aber an der Zeit, einige Mandate an geeignete Nachfolgerinnen zu übergeben.
Wo lagen die grössten Stolpersteine in Ihrer Verwaltungsratskarriere?
Die Diversität voranzutreiben und Kolleginnen anzuspornen, stellte eine grosse Hürde dar. Mit viel überzeugungskraft musste ich mich dafür einsetzen, Frauen zu befördern, konnte aber in den letzten zwanzig Jahren in allen Gremien Frauen einsetzen und beraten, ihnen beim Einstieg helfen, sie sichtbar machen, für Verwaltungsratspositionen oder andere Institutionen empfehlen und in Netzwerke hieven. Inzwischen bin ich in keinem Gremium mehr als einzige Frau vertreten. Die Unternehmen haben eingesehen, dass durchmischte Teams erfolgreicher arbeiten.
Müssen Frauen ein besonders Selbstbewusstsein ausstrahlen?
Sicherlich muss man sich ein höheres Amt zumuten und wichtig ist, eine Unabhängigkeit anzustreben und daran festzuhalten. Es sind Persönlichkeiten gefragt, die ihre Meinung im Gremium klar darlegen können. Man muss die Kraft aufbringen, zu hinterfragen und neue Ansätze zu präsentieren. Zudem: Die Interessen aller Stakeholder sollten immer gleich gewichtet sein, und die Konkurrenz ist auf keinen Fall nur weiblich. Viele Männer möchten nach der operativen Karriere ihre Erfahrungen in Verwaltungsräten einbringen. Wer erfolgreich sein will, benötigt eine Kombination aus Karriereausweis, Sichtbarkeit und Netzwerk gepaart mit einer Portion Glück.
Welche Voraussetzungen muss eine Verwaltungsrätin ausserdem mitbringen?
Sie sollte sich für das Geschäftsfeld des Unternehmens interessieren, ein Verständnis für die Rolle des Verwaltungsrates aufbringen. Das heisst, nicht um die operative Tätigkeit steht zur Diskussion, sondern auch Check und Balance im System und eine gut funktionierende Governance. Zudem sind ein strategisches und kritisches Denkvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Mut und eine Prise Common Sense gefragt.
Und wie gelingt der überzeugende Auftritt?
Indem man authentisch bleibt. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass oft unbewusste Vorurteile mitspielen, wenn es um die Nominierung von Frauen geht. Das gilt auch für Personen aus Rekrutierungsfirmen und in Nominationskomitees. Ich empfehle deshalb das Buch «What works» von Iris Bohnet, Professorin für Verhaltensökonomie an der Harvard Universität. Darüber hinaus müssen wir uns alle in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Medien kontinuierlich an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie auch der Gleichstellung einsetzen.
Carolina Müller-Möhl
Nach dem Abitur am internationalen Internat Schloss Salem (D) studierte die 1968 geborene Carolina Müller-Möhl Politische Wissenschaften, Geschichte und Recht an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg, der London School of Economics und am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Seit 2000 präsidiert sie die von ihr gegründete Müller-Möhl Group, ein Single Family Office, das als aktiver Investor die Assets der Familie managt. Von 2004 bis 2012 war sie Verwaltungsrätin der Nestlé S.A. und ist heute als Verwaltungsrätin bei der Orascom Development Holding AG, der AG für die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) und als Aufsichtsrätin der Fielmann AG mit Sitz in Deutschland tätig. 2012 gründete sie die Müller-Möhl Foundation und engagiert sich in den Bereichen Bildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für die Förderung des Wirtschaftsstandortes Schweiz.
Eunice Zehnder-Lai kann als Schweizerin und Hongkong-Chinesin auf eine langjährige Berufserfahrung zurückblicken. Sie gehört zu den internationalen weiblichen Verwaltungsratsmitgliedern und stellt dabei fest, dass es von grossem Vorteil ist, mehrere Nationaltäten zu besitzen, da diese dazu beitragen, zahlreiche Fragestellungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.
WOMEN IN BUSINESS: Welches sind die wichtigsten Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in einem Verwaltungsrat?
Eunice Zehnder-Lai: Jedes Gremium achtet auf unterschiedliche Qualifikationen. Verwaltungsräte suchen jedoch immer nach Kandidatinnen und Kandidaten, die ein Unternehmen voranbringen und die Interessen der Aktionäre bestmöglichst vertreten können.
Worin besteht Ihre Aufgabe als Verwaltungsrätin?
Es gilt sicherzustellen, dass das Unternehmen die richtige Strategie verfolgt, sich auf die richtigen Prioritäten konzentriert, das Führungsteam für die Chancen und Herausforderungen des Unternehmens geeignet ist und die Risiken gut gemanagt werden. Zudem versuche ich, ein gutes Urteilsvermögen, Einblicke und Perspektiven hineinzubringen. Die strategische Weiterentwicklung von Firmen, fasziniert mich besonders.
Sie verfügen über einen Master of Business Administration und einen Bachelor of Arts. Reüssieren Ihrer Meinung nach lediglich Frauen mit einer guten Ausbildung in einem Verwaltungsrat?
Zahlreiche Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn es darum geht, neue Mitglieder aufzunehmen. Einige Verwaltungsräte setzen explizit auf spezifisches Fachwissen, während andere auf Dynamik Wert legen. Eine gute Ausbildung gehört sicherlich zu den wichtigen Faktoren. Manch Firmen rekrutieren Kandidatinnen und Kandidaten im eigenen Netzwerk, aber bei grösseren, börsenkotierten Unternehmen kommt dies nicht mehr vor.
Wie sieht der Verwaltungsrat von morgen aus?
Er wird in verschiedener Hinsicht vielfältiger. Aber wir müssen unbedingt darauf achten, dass die Zusammensetzung nicht zu einer Check-the-Box-übung verkommt.
Eunice Zehnder-Lai
Die 1967 geborene Eunice Zehnder-Lai besitzt einen Master of Business Administration der Harvard Business School und einen Bachelor of Arts der Harvard University (USA). Sie arbeitete während 20 Jahren in der Finanzindustrie für LGT Capital Partners, Goldman Sachs und Merrill Lynch in New York, London, Hongkong und der Schweiz. Die Schweizerische und chinesische Staatsangehörige (Sonderverwaltungszone Hongkong) war in den Bereichen Asset, Management, Private Wealth Management und Corporate Finance tätig. 2017 wurde sie Mitglied des Verwaltungsrates der Geberit Gruppe in Rapperswil-Jona SA, und seit 2019 amtet sie als Verwaltungsratsmitglied bei der Julius Bär Gruppe AG und Bank Julius Bär & Co. AG.