Weleda feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Die Ärztin Nataliya Yarmolenko, Mitglied der Geschäftsleitung, über das Erfolgsgeheimnis von Weleda, den Frauenanteil und den anthroposophischen Ansatz.

WOMAN IN BUSINESS: Wie sind Sie als Ärztin zu Weleda gekommen? Was haben Sie davor gemacht?
Nataliya Yarmolenko: Ich habe in Odessa, Ukraine, Medizin studiert. Während des Studiums habe ich die anthroposophische Medizin kennengelernt und nach meinem Examen ein Therapeutikum mit Schwerpunkt Naturheilkunde aufgebaut. Um mich in anthroposophischer Medizin fortzubilden, bin ich dann nach Dornach gegangen. Dort wurde die Geschäftsleitung der Weleda auf mich aufmerksam und fragte mich im Jahr 2000, ob ich ins Unternehmen einsteigen wolle, um die osteuropäischen Märkte zu entwickeln.

Wie verlief dann Ihr Karriereweg bei Weleda?
Ich war lange Jahre als Regionaldirektorin für die osteuropäischen und skandinavischen Märkte zuständig. Gemeinsam mit meinem Team haben wir Weleda vor allem in Russland, Tschechien und Schweden erfolgreich aufgebaut und viele neue Märkte erschlossen. Anfang 2019 wurde mir vom Verwaltungsrat die Stelle als Mitglied der Geschäftsleitung mit Zuständigkeit für die Märkte angeboten, die ich seither innehabe. Das war eine tolle Entwicklungsmöglichkeit und hat viele neue spannende, globale Aufgaben mit sich gebracht.

Wie beurteilen Sie die Rolle und die Stellung der Frauen im Berufsleben?
Ich sehe es in unserer Gesellschaft noch als Nachteil, weil Frauen mit grösseren Hürden und anderen Erwartungen zu tun haben. Wir leben weiter in einer von Männern dominierten Berufswelt. Gerade auch beim Thema Familie zeigt sich oft, dass es Frauen schwerer haben, Kinder und Job zu vereinbaren. Dabei sind Frauen heutzutage top ausgebildet und bringen viel Potenzial und Kompetenz mit in die Arbeitswelt – es ist schade, wenn Unternehmen das nicht erkennen. Zum Glück hat sich aber auch viel in unserer Gesellschaft weiterentwickelt und verbessert.

Hatten Sie jemals das Gefühl, im Berufsleben als Frau bevorzugt oder benachteiligt gewesen zu sein?
Ich selbst habe bei Weleda grosses Vertrauen in meine Entwicklungsmöglichkeiten erfahren. Es ist bei uns im Unternehmen sehr wichtig, dass Mitarbeitende ihr Potenzial entfalten können. Sie werden in unserem Unternehmen unabhängig vom Geschlecht nicht nur als Funktionsträgerinnen, sondern als Menschen gesehen, die in den Lebensfeldern Beruf und Privatleben Verantwortung tragen. Wir schaffen mit geeigneten Angeboten Rahmenbedingungen, damit der individuelle Balance-Akt gelingen kann. So ist die Weleda AG auch mit dem «audit beruf und familie» zertifiziert.

Welchen Stellenwert hat die Frauenförderung bei Weleda?
Die Ärztin und Pionierin Dr. Ita Wegmann war die treibende Kraft bei der Gründung der Weleda in Arlesheim. Ich finde es toll und inspirierend, wie sie bereits vor 100 Jahren bei Weleda ihre Ideen und Fähigkeiten zur Geltung brachte. 1921 baute sie die erste Klinik für anthroposophische Medizin auf. Sie traf auf Rudolf Steiner und gründete mit ihm zusammen die Weleda. Ihre Persönlichkeit zeichnete sich durch Mut, Begeisterung und Entscheidungsfreude aus. Mit ihrem Lebensstil – sie war unverheiratet, hat viele leitende Rollen gehabt, war Ärztin und Unternehmerin – entsprach sie nicht dem Bild der Frau zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Sie war unangepasst und visionär, und sie hat das Unternehmen Weleda, die anthroposophische Medizin sowie das Rollenverständnis der Frauen mit ihrem Werdegang massgeblich geprägt. Bis heute ist Weleda eine sehr weiblich geprägte Marke. Wenn wir heute über die Qualitäten von Weleda sprechen, wie z.B. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, den Mut, unkonventionell zu sein, da finden wir den historischen Fussabdruck von Ita Wegman wieder. Heute sind viele unserer Werte sehr gefragt und finden hohe Akzeptanz.

Wie präsentiert sich die Lage heute?
Interessant ist, dass Weleda lange hierarchisch geführt wurde und somit weniger Frauen in Führungsrollen waren. Ich erinnere mich gut an meine ersten Meetings vor 20 Jahren. Es gab zwei Frauen in einer Gruppe von 30 Männern. Heutzutage sieht es anders aus. In 20 Tochtergesellschaften haben wir fünf geschäftsführende Direktorinnen. Das ist immer noch zu wenig. Aber es ändert sich weiter. Auf der zweiten Führungsebene der zentralen Funktionen ist der Frauenanteil schon wesentlich höher, dort sind es knapp 40 Prozent. Es gab bis jetzt kein offizielles Programm für Frauen-Förderung. Viele Veränderungen bei Weleda geschahen organisch. Kulturelle Vielfalt sehen wir als inspirierende Kraft. Ich vergleiche das gerne mit einem bunten Garten, der aus sich heraus die Kraft hat, immer vielfältiger und kräftiger zu werden. Ich bin überzeugt, dass «female Leadership» absolut in ist und ich erlebe, dass Achtsamkeit und Empathie in der Führungskultur bei Weleda von allen gelebt werden.

Wie hoch ist der Frauenanteil bei Weleda insgesamt?
Von 2500 Mitarbeitenden weltweit sind 1700 weiblich, das sind fast 70 Prozent. Der Frauenanteil unter den Führungskräften liegt weltweit bei etwa 40 Prozent.

Wie geht Weleda mit den Themen Inklusion und Diversität um?
In unserem HR-Bereich haben wir das Thema Diversitätsmanagement als Aufgabenbereich in unserem HR Competence Center angesiedelt. Nachhaltige Erfolge können nur durch gemeinsames Anpacken aus vielfältigen Blickwinkeln entstehen. So sind wir in der Lage, gemeinsam voneinander zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Die Weleda-Gruppe beschäftigt derzeit Menschen aus über 50 Ländern in ihren 24 Niederlassungen auf der ganzen Welt. An unseren grössten Standorten in Deutschland und der Schweiz, wo die Mehrheit der Mitarbeitenden des Unternehmens arbeitet, sind jeweils über 31 Nationalitäten angestellt.

Was ist Ihre genaue Funktion und was sind Ihre Aufgaben bei Weleda?
Ich bin Mitglied der vierköpfigen Geschäftsleitung der Weleda Gruppe und innerhalb dieses kollegial geführten Teams für die Märkte zuständig.

Wie ist Weleda heute international positioniert, und wie ist die Firma in den letzten 100 Jahren gewachsen?
Wir sind Weltmarktführerin für zertifizierte Naturkosmetik und die Nr. 1 auf dem Gebiet der Pharmazie für anthroposophische Medizin. Weleda Produkte gibt es heute in über 50 Ländern. 2020 haben wir einen globalen Umsatz von 424 Millionen Euro erzielt. Bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts war der grössere Geschäftszweig die Pharmazie. Mit dem wachsenden Umweltbewusstsein stieg die Nachfrage nach Naturkosmetik. Den grössten Teil des Umsatzes erzielen wir immer noch in Europa, vor allem in Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Aber Märkte in Asien, den USA, Süd- und Osteuropa holen seit einiger Zeit stark auf. Hier gibt es noch viel Potenzial – auch diese Aufgabe macht meine Rolle so spannend.

Was ist das Geheimnis des Erfolgs von Weleda?
Eine der Hauptursachen unseres Erfolgs dürfte das grosse Vertrauen der Kundinnen und Kunden in die Qualität unserer Produkte und in unsere Aktivitäten zum Schutz der Natur sein. Dieses Vertrauen ist während der Jahrzehnte gewachsen. Die Konsumenten spüren, dass wir uns treu geblieben sind. Hinzu kommt, dass Nachhaltigkeit heute kein Nischenthema mehr ist, sondern in der Breite der Gesellschaft und der Wirtschaft zunehmend zum Massstab des individuellen und kollektiven Handelns wird. Weleda hat als Pionierin mitgewirkt, dass Naturkosmetik heute voll im Trend ist, und unsere Werte sind aktueller denn je: Natürliche Rohstoffe, höchste Qualität, nachhaltiges, ressourcenschonendes Wirtschaften und fairer Umgang mit allen an der Wertschöpfung beteiligten
Menschen. Auch nach 100 Jahren ist es unser Unternehmenszweck, Gesundheit und Schönheit im Einklang von Mensch und Natur zu entfalten. Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen sich ihrer Verbindung mit der Natur bewusstwerden und dadurch ihr Konsumverhalten nachhaltiger gestalten.

Nachhaltigkeit und Natur gehören zur DNA von Weleda und sind heute globale Trends. Wie erklären Sie das?
Als Weleda 1921 gegründet wurde, waren Nachhaltigkeit und Klimawandel noch keine Themen – achtsames Wirtschaften im Einklang mit der Natur aber schon. Bei Weleda war es von Anfangan das Ziel, Produkte für Gesundheit und Schönheit von Mensch und Natur auf natürlicher Basis herzustellen. Als die Begriffe Nachhaltigkeit und Umweltschutz immer zentralere Anliegen für breite Bevölkerungsschichten wurden, waren wir schon lange am Thema dran. Der gesellschaftliche Wandel und ein steigendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit haben dazu geführt, dass sich Konsumentinnen kritischer mit Produkten des täglichen Bedarfs auseinandersetzen. Damit sprechen wir eine breitere Käuferschaft an als noch vor 50 Jahren.

Das hat auch die Konkurrenz gemerkt und entsprechend reagiert. Wie will sich Weleda in Zukunft positionieren, um die Marktstellung zu halten und sogar noch zu wachsen?
Wir haben das Privileg, auf 100 Jahre Erfahrung zurückgreifen zu dürfen und diesen Erfahrungsschatz mit den Technologien von morgen zu bereichern. Dabei wollen wir unserem Unternehmenszweck, unserem Purpose, treu bleiben. Das heisst, wir setzen mehr denn je darauf, einen positiven Beitrag für die Menschen und die Natur zu leisten. Und wir begrüssen es, dass auch die Beauty Branche insgesamt nachhaltiger wird oder werden will – es ist gut, wenn alle an einem Strang ziehen. Doch Transparenz und ehrliche Kommunikation dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Was bedeutet das genau?
Mit vertrauenswürdigen, anerkannten Zertifizierungen wollen wir Konsumenten Orientierung und Sicherheit geben, wenn es um soziale und ökologische Massstäbe sowie um Corporate Governance geht. Wir freuen uns sehr, dass wir die internationale B-Corp Zertifizierung erreicht haben. Zertifizierte Firmen belegen transparent, dass sie sehr hohe Sozial- und Umweltstandards erfüllen, um die finanzielle und ethische Wertschöpfung in Einklang zu bringen.

Welche Kunden greifen zu Weleda-Produkten?
Unsere Kundinnen und Kunden sind mehrheitlich weiblich. Viele kommen als junge Eltern mit Weleda in Kontakt, denn in dieser Lebensphase wird die Bedeutung der Natur sowie qualitativ hochwertige, natürliche Inhaltsstoffe für viele Menschen wichtiger, und wir sind in der Babypflege sehr stark. Für sich selbst greifen die Verbraucher ab 30 stärker zu Weleda-Produkten.

Was sind die absatzstärksten Produkte?
Unser stärkstes Produkt ist die Weleda Babycreme. Ein weiterer Dauerrenner sind die Produkte der Skinfood-Serie.

Woher kommen die Rohstoffe, mit denen Weleda arbeitet?
Damals wie heute setzt Weleda Massstäbe in Bezug auf die Rohstoffbeschaffung. Besonderen Wert legen wir auf ökologisch und sozial ausgerichtete Lieferketten. Seit 2011 ist Weleda Mitglied der Union for Ethical Biotrade (UEBT) und hat seit 2018 als eines der ersten Unternehmen weltweit das UEBT-Zertifikat «Sourcing with respect». Wir sorgen dafür, dass alle Lieferanten unserer Rohstoffe angemessen bezahlt und dass unsere ökologischen Standards eingehalten werden. 80 Prozent unserer pflanzlichen Rohstoffe stammen aus biologischem oder biodynamischem Anbau und zertifizierter Wildsammlung. Die Anbaufläche beträgt rund 250 Quadratkilometer. Weltweit führen wir acht eigene Heilpflanzengärten – all das kommt der Artenvielfalt, der Bodengesundheit und dem Klimaschutz zugute. Denn biologisch bewirtschaftete Böden speichern mehr Kohlenstoff als konventionell genutzte.

Wie unterscheidet sich ein anthroposophisches von einem herkömmlichen Arzneimittel?
Die Natur schenkt uns kostbare Rohstoffe – aus langjähriger Arbeit, Forschung und Erfahrung wissen wir, wie wir daraus Arzneimittel und Naturkosmetika von höchster Qualität herstellen. Bei den anthroposophischen Arzneimitteln spielen die selbstregulierenden, selbstheilenden Kräfte des Organismus und eine ganzheitliche Betrachtungsweise eine zentrale Rolle. Der Mensch besteht nicht nur aus einem Körper, dessen Krankheitssymptome jeweils für sich genommen bekämpft werden müssen, sondern es gilt, das Individuum als Ganzes zu sehen, das aus Körper, Seele und Geist besteht, in einem bestimmten Lebensumfeld lebt und eine individuelle Biografie hat. Da setzt die anthroposophische Medizin mit ihren Therapien und Arzneimitteln an.

Was sind Ihre Lieblingslinien oder -produkte von Weleda?
Dazu zählt zum einen unser Granatapfel Gesichtsöl. Damit ist es uns in der Entwicklung einfach super gelungen, Weleda-Qualität, Natürlichkeit und Wirksamkeit in Einklang zu bringen. Und die Skin Food Light habe ich immer in meiner Tasche, denn sie ist ideal, um sich auch zwischendurch zu pflegen.

Wie begeht Weleda das 100-Jahr-Jubiläum?
Wir hatten viel vor für das Jubiläumsjahr und mussten leider coronabedingt umplanen. So sollte es etwa in Deutschland ein Sommercamp zum Thema gesunde Böden geben, das nun nächstes Jahr stattfinden wird. Für 2021 haben wir dafür mit der «Living Soil Journey» eine digitale Dialog-Reihe mit Project Together umgesetzt. Natürlich möchten wir auch mit allen Mitarbeitenden weltweit feiern, dazu wird es bald ein digitales Fest geben, auf das ich mich sehr freue. Denn wir alle tragen gemeinsam dazu bei, dass Weleda im Jahr dieses stolzen Jubiläums so erfolgreich ist. Unser grosser Dank dafür gilt auch all unseren Mitarbeitenden.

 

Nataliya Yarmolenko
Nataliya Yarmolenko (55) stammt aus der Ukraine und war dort nach ihrem Medizinstudium als Ärztin tätig. Dann lernte sie die anthroposophische Medizin kennen und praktizierte diese in einem von ihr gegründeten Therapeutikum. Ihre Kenntnisse vertiefte sie später am Goetheanum in Dornach. Bei Weleda arbeitet sie seit 2002 und hat als Regionaldirektorin erfolgreich die Märkte der Regionen Ost- und Nordeuropa sowie Mittlerer Osten entwickelt. Seit 1. Januar 2020 gehört sie der Geschäftsleitung an und ist als CCO für die Märkte und die Kommunikation verantwortlich.

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Die nächste WOMEN IN BUSINESS Ausgabe wird am 13.03.2025 lanciert

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