Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Wir haben die Leiterin Organisation und Kulturentwicklung bei der Mobiliar Versicherung gefragt, ob das Büro nun ausgedient hat und was eine gute Arbeitsplatzkultur ausmacht.

WOMEN IN BUSINESS: Seit sieben Jahren sind Sie Leiterin Organisation und Kulturentwicklung bei der Mobiliar Versicherung. Was sind Ihre aktuellen Kernthemen?
Claudia Giorgetti Del Monte: Die Frage nach dem «Arbeitsplatz» beziehungsweise dem «Arbeitsraum» ist zurzeit eines meiner Kernthemen. Die Arbeitswelt hat sich durch die Pandemie verändert. Wie soll sich der Arbeitsplatz der Zukunft gestalten? Wir können nicht mehr vom klassischen Arbeitsplatz ausgehen, wie wir ihn aus Vor-Pandemiezeiten kannten. Der Mix aus physischer und mobil-flexibler Arbeit setzt sich zunehmend durch. Ich denke dabei auch an die junge Generation. Mit ihr wächst eine neue Arbeitnehmergeneration heran, die heute mit einer selbstverständlichen Zoom-Ausbildung auf den Arbeitsmarkt kommt und sich ganz anders positioniert. Das hat einen grossen Einfluss darauf, wie sich Arbeitsräume künftig gestalten. Das zweite grosse Kernthema ist, wie wir als soziale Wesen in den hybriden Arbeitsmodellen künftig miteinander interagieren – und vor allem effizient zusammenarbeiten zu können. Hybride Zusammenarbeit verlangt ein hohes Mass an Reflexion mit sich selbst, dem Team und dem Ort. Unternehmen müssen ihre Angestellten darin unterstützen, den hybriden Arbeitsplatz zu verstehen. Gleichzeitig müssen sie aber auch Kollaboration, Identität und das Erleben von Werten unterstützen. Das hybride Büro muss sozusagen als «Tankstelle» der Unternehmenskultur funktionieren, die ja erst durch Interaktionen erlebbar wird. Darin muss investiert werden, um den Unternehmenserfolg auch in Zukunft zu sichern!

Remote Work prägt zunehmend unseren Arbeitsalltag. Den Menschen wird der Eindruck vermittelt, das Büro habe ausgedient. Stimmen Sie dem zu?
Ganz klar NEIN. Die Mitarbeiter kommen grundsätzlich wieder gerne ins Büro. Aber die Art und Weise, wie das Büro bisher genutzt wurde, hat sich verändert. Wir müssen neu definieren, welche Funktion es künftig haben soll, es muss mit neuen Inhalten gefüllt werden. Die Zukunft unserer Zusammenarbeit ist dort, wo Mitarbeiter den bestmöglichen Output leisten können. Dafür muss man offen für neue Lösungen sein. Das kann eine Umgebung sein, die flexibel für verschiedene Anforderungen innerhalb der Organisation einsetzbar ist. Es gilt jetzt, eine Balance zu finden und flexible Modelle richtig zu nutzen. Denn ein Arbeitgeber muss schliesslich auch sein Leistungsversprechen einlösen, damit das Unternehmen weiterhin existieren kann und Erfolg hat. Und die Mitarbeiter müssen ihre Produktivität und Leistungsbereitschaft trotz gewissen Freiheiten garantieren und gewisse Regeln und Prinzipien einhalten.

Welche Auswirkungen hat die sogenannte «neue Normalität» auf die Arbeitskultur?
Es gibt, auch heute noch, Mitarbeiter mit einem klar geregelten Arbeitstag im Büro oder in der Produktion, da bestehen keine Alternativen. Viele andere können keine eindeutige Antwort mehr darauf geben, wo ihr Arbeitsplatz ist. Sie arbeiten Remote und sind immer und überall online und erreichbar – und können nicht abschalten. Ich sehe darin eine unserer wichtigsten Aufgaben, die Leute zu befähigen, ein Gleichgewicht zwischen Arbeiten und Privatem zu finden. Man wird nicht effizienter, wenn man nicht mehr richtig abschalten kann.

Wie kann man Mitarbeitende angesichts der Pandemie-Entwicklungen für kommende Krisen widerstandsfähiger machen, besser trainiert?
Als Arbeitgeber hat man eine strategische und eine soziale Verantwortung, vorzusorgen, den Mitarbeitenden Kompetenzen zu geben, die sie stark machen für die Zukunft. Mitarbeiter erwarten für ihre Leistung eine Wertschätzung und wollen mit Sinnstiftung und Chanceneröffnungen gefördert werden. Zahlreiche Studien belegen, dass Engagement, Leistung und Wohlbefinden der Mitarbeitenden eng miteinander verbunden sind. So können sie Resilienz aufbauen und brechen bei der nächsten Krise nicht gleich zusammen.

Welche Schritte muss ein Unternehmen umsetzen, um bei hybrider Arbeitsweise die Leistungsfähigkeit und Produktivität der Mitarbeitenden sicherzustellen – und damit den Unternehmenserfolg, die Zukunftsfähigkeit?
Mit der Kontrolle von oben nach unten lässt sich die digitale Transformation nicht bewältigen. Das hat Konsequenzen für die Führungskräfte. Führen bedeutet heute vielmehr, ein Team zu orchestrieren. Wie ein Dirigent. Wer Teams zusammenhalten, Effizienz, Leistungsfähigkeit und Innovationstärke erreichen will, muss die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden erhöhen. Das beginnt schon bei der Art und Weise, wie man in einer Organisation Ziele kommuniziert, die Leute involviert und sie umsetzt. Es braucht explizite Spielregeln, die alle kennen und gleich gut verstehen. Als Unternehmen muss man seine Mitarbeiter aber auch fördern und ihnen die Möglichkeit zur Weiterentwicklung geben. Das ist nichts anderes als das gute, alte Empowerment, die Rahmenbedingungen so zu schaffen und die Zielvorgaben so zu legen, dass Mitarbeiter auf jeder Stufe Verantwortung übernehmen können – und so am Unternehmenserfolg mitarbeiten.

Die Forderungen nach flexibleren Arbeitsmodellen werden immer lauter bis hin zur Forderung nach einer Vier-Tage-Woche. Riskieren wir hier blauäugig unsere ökonomische Stabilität?
Ich sehe nicht, dass wir damit die ökonomische Stabilität riskieren. In verschiedenen Bereichen, wie etwa der Gastronomie, wird die Vier-Tage-Woche inzwischen umgesetzt, und es scheint zu funktionieren. Ich bin davon überzeugt, dass sich der Output nicht verringert. Vielleicht wird er sogar noch besser. Ich finde, Firmen könnten es mit Pilotprojekten testen. So könnte in einem Team der eine Teil von Montag bis Donnerstag und der andere von Dienstag bis Freitag arbeiten. Hinterher weiss man als Unternehmen, in welchen Bereichen dies funktionieren kann und in welchen es sich nicht eignet.

Welche positiven Konsequenzen hat die hybride Zusammenarbeit für die Unternehmenskultur? Anders gefragt, wie sollte eine gute Arbeitsplatzkultur künftig aussehen?
Grundsätzlich gehört zu einer guten digitalen Arbeitskultur, das Engagement der Mitarbeiter zu fördern und sie zu ihrem persönlichen Erfolg zu führen. Ich sage, zu führen. Es wäre naiv, zu glauben, dass sich Mitarbeitende allein auf diesen Pfad begeben. Digital heisst immer mehr auch Tage mit physischer Anwesenheit zur Pflicht machen, anwesend sein, präsent, solidarisch mit der Gruppe, dem Team. Die Basis ist Vertrauen. Und Transparenz, damit die Mitarbeiter informiert und involviert sind. Entscheidend hier sind die Haltung und das Versprechen, die du als Arbeitgeber gibst, und die deine Führungskräfte vorleben. Das lässt sich allerdings nicht mit einer Einweg-Spritze lösen. Man muss das immer wieder thematisieren und trainieren, damit die Unternehmenskultur von oben herab gelebt wird. Das Problem ist leider, dass keiner das Thema so richtig anpacken will, weil es nicht um harte Fakten, sondern um weiche Faktoren geht. Hinzu kommt die gerade nicht förderliche aktuelle Situation. Viele Unternehmen sind jetzt mit existenziellen Problemen wie Lieferproblemen oder Serviceketten, die nicht mehr richtig funktionieren, beschäftigt und nehmen sich zu wenig Zeit, sich um die Belange der Mitarbeiter zu kümmern. Aber das wird sich bald schon auf die Produktivität auswirken.

Ihre Vision einer zukunftsfähigen Team-Organisation, die international mit der Produktivität der besten in China und USA mithalten kann?
Als Arbeitgeber sollte man alle Mitarbeiter befähigen, dem Wettbewerb standhalten zu können, indem man ihnen neue Entwicklungs- oder Karrieremodelle anbietet. Das verstehe ich unter Management der Fähigkeiten. Dafür braucht es klare Anforderungsprofile, Strategien und es braucht sehr präzis definierte Ziele. Wenn es gelingt, Stärken, Kompetenzen und Potenziale des einzelnen gezielt zu fördern, machen wir uns fit für die Herausforderungen und Aufgaben von morgen. So bleiben Unternehmen auch in der Zukunft markt- und konkurrenzfähig! Aber nur, wenn wir uns nicht zu schade sind, auch digital erbrachte Leistungen hart zu kontrollieren und zu bewerten. Das sind wir dem Unternehmen schuldig, dessen Absender auf unserem Lohnausweis steht. ★

Foto: ©Keren Bisaz

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