Justine Mettraux ist eine der besten Hochsee-Seglerinnen der Welt. Nächstes Jahr startet die 37-jährige Genferin bei der Nonstop-Regatta Vendée Globe. Allein.
Ein Gespräch über Herausforderungen und Risiken, die Vorteile von Mentaltraining und die Schönheit eines Delfinschwarms.

Effizient arbeiten, Risiken abschätzen, clevere taktische Entscheidungen fällen, sich auf schnell verändernde Situationen einstellen, dabei einen ruhigen Kopf bewahren und auch immer an die eigenen Grenzen gehen: Was wie ein Schnelllehrgang für Manager tönt, bewältigt Justine Mettraux regelmässig auf dem beengten Raum eines Segelschiffs. Und die- ser Situation stellt sie sich immer wieder unter erschwerten Bedingungen: im Wettkampf, auf hoher See, bei Wind und Wellengang. Die Tragweite der Fehlhandlungen, der sie ausgesetzt ist, fasst sie mit einem lapidaren Satz zusammen: «Falle ich ins Wasser, bin ich verloren.»

Jüngst segelte sie etwa im Rahmen des «14. Ocean Race» mit vier Männern an Bord in einer Rennjacht in 35 Tagen 20 500 Kilometer um das Kap Hoorn an der Südspitze Chiles. Das Rennen gilt als eine der härtesten Herausforderungen des Segelsports, und für Justine Mettraux war es die dritte Hoch- seeregatta – eine mythische dazu, von der sie sagt, sie hätte sich nie erträumt, dass sie jemals daran teilnehmen könnte, als sie mit dem Segeln begann. (Das US-Team, mit dem sie drei Etappen mitsegelte, gewann das Rennen.) Einem Journalisten gegenüber resümierte die Skipperin lachend, was es heisst, auf engstem Raum ohne Toilette und Dusche mit vier Männern unterwegs zu sein. «Ich gewöhnte mich schnell da- ran, dass ich keine Privatsphäre hatte.»
Nächstes Jahr steht ihr die Umsegelung der Welt an der Vendée Globe bevor. Physisch wird sie allein auf dem Schiff sein. Im Hintergrund aber steckt ein 10-köpfiges Team aus Technikern, IT- und Wetterspezialisten, mit dem sie zusammenarbeitet. Auch muss man gewieft im Umgang mit Sponsoren sein, denn der Kampf der Offshore-Segler um Budgets ist schwierig. Eine Wettkampfseglerin muss auch eine Unternehmerin sein. Eine selbstgenügsame dazu: Nimmt etwas Schaden, muss sie selbst reparieren, ohne von aussen Hilfe anzunehmen. Während des Segelns gibt es zwar keine Kommunikationsbeschränkungen, d.h. sie kann alle Probleme an Bord in Echtzeit mit ihrer Landcrew besprechen. Aber helfen muss sie sich am Ende selbst. Die Regatta sei, so Mettraux, die Erfüllung ihres Lebenstraums.

WOMEN IN BUSINESS: Sie sind kürzlich in einem Team mit vier Männern auf kleinstem Raum im Südpazifik gesegelt. Vergisst man da das ganze Gender-Thema?
Justine Mettraux: Ja, genauso ist es. Als plötzlich Frauen zugelassen und die Teams gemischt wurden, gab es Männer, die damit Mühe hatten. Doch heute fühlt sich das komplett normal an. Auf einem kleinen Schiff gibt es keine Intimsphäre, keine Toilette, keine Dusche. Du bist nur einen Meter voneinander entfernt, und ob Mann oder Frau, jeder hat dieselben Bedürfnisse. Man schaut einfach nicht hin!

Nächstes Jahr starten Sie zu Ihrer Weltumsegelung. Dabei kann ja alles Mögliche passieren, man ist den Wettergewalten ausgesetzt, das Schiff kann Schaden nehmen, man ist tage- und wochenlang allein. Wie bereitet man sich auf das Unvorhergesehene vor?
Man muss sich schwierige Situationen vorstellen können. Die grösste Herausforderung ist, dass Wettersysteme innerhalb von 24 Stunden mehrfach wechseln können, und zwar rasch. Man muss also schnell und flexibel reagieren können. Man muss dabei viel mentale Arbeit leisten, um schwierige Situationen bewältigen zu können.

Das gesamte Interview lesen Sie in der Ausgabe Oktober 2023. Bestellen Sie diese in unserem Shop.


Zur Person
Justine Mettraux wurde 1986 in Genf geboren. Dort, im «Centre d’entraînement à la régate» (CER), lernte sie das Segeln als Schülerin in ihrer Freizeit. Bereits im Alter von 16 Jahren nahm sie an der «Tour de France en voile» teil. Im Jahr 2011 fand sie im Informatikunternehmen TeamWork einen Sponsor, der es ihr ermöglichte, zu trainieren und an ihrem ersten Transatlantik-Rennen teilzunehmen. 2019 wurde Justine Mettraux bei den SUI Sailing Awards zur Schweizer Seglerin des Jahres gewählt. 2022/2023 segelte sie im legendären «Ocean Race» die beiden längsten Etappen des siegreichen 11th Hour Racing Team mit – mit dem amerikanischen Rennstall hat sie einen Teilzeitvertrag. 2022 erwarb Mettraux’ Sponsor das Segelboot Charal vom bekannten bretonischen Skipper Jérémie Beyou, um es Justine Mettraux anzuvertrauen. Mit dem Schiff, das nun auf TeamWork. net umgetauft wurde, wird sie nächstes Jahr an der Vendée Globe teilnehmen und die Welt im Alleingang umsegeln.

Wind und das Wasser spürt Justine Mettraux seit Kindesbeinen auf ihrer Haut. Dabei kamen ihre Eltern ursprünglich aus dem Freiburger Umland, der Vater war Bauernsohn. Als sie nach Genf in die Nähe des Sees zogen, wurde das Segelboot zum Mittel, um mehr im Freien zu sein. Ihr Vater wurde Amateursegelsportler, ihre Mutter Sporttaucherin, und mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern verbrachte sie jede freie Minute auf dem Segelschiff. Heute sind alle Geschwister Profisegler wie sie selbst. In Genf gibt es ein Regatta-Trainingszentrum, das von der Stadt unterstützt wird; jedes Kind kann für 150 Franken pro Jahr im Jahr viermal die Woche trainieren – und genau das tat Justine. In der Bretagne und in Hyères fand sie Geschmack am Hochsee-Segelsport, und mit 16 bestritt sie erste Rennen.

Bevor sich Mettraux mit Mitte zwanzig dazu entschied, sich ganz dem Segelsport zuzuwenden, machte sie das Primarlehrerdiplom an der Pädagogischen Hochschule in Lausanne und unterrichtete. Seit 2011 arbeitet die 37-Jährige mit ihrem Sponsor, TeamWork, einem IT-Unternehmen, zusammen. In den letzten Jahren hat sich die Welt des Segelsports sukzessive für die Frauen geöffnet. Heute ist Mettraux eine der ganz wenigen Schweizerinnen im Off-Shore-Segelsport. Als erste Schweizerin hat sie an den Hochsee-Segelrennen teilgenommen, wie der «Mini-Transat», der «Solitaire du Figaro» und der «Transat Jacques Vabre 9». 2019 wurde sie an den SUI Sailing Awards zur «Seglerin des Jahres» gekürt. Justine Mettraux setzt sich zudem für mehr Diversität im Segelsport ein und ist eine der Botschafterinnen des Magenta-Projekts, eines internationalen Sportnetzwerks von Profiseglern, das den Segelsport bei Mädchen fördert.

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