Hannah Helmkes Mission: Mittels Digitalisierung gegen den Klimawandel kämpfen. Das von ihr mitgegründete Climate-Tech-Start-up right° hat eine Metrik entwickelt, die die Klimawirkung von Staaten, Anleihen, Aktien und Firmen auf der Basis des Pariser Klimaabkommens berechnet – in Grad Celsius. Dafür hat sie unter anderem den Digital Female Leader Award erhalten. Ein Interview darüber, was sie antreibt.
WOMEN IN BUSINESS: Sie engagieren sich beruflich für den Kampf gegen die Klimaerwärmung. Wie tragen Sie persönlich dazu bei, dass Ihr CO2-Fussabdruck möglichst klein ist?
Hannah Helmke: Eigentlich tue ich das Übliche: Ich benutze grünen Strom, ernähre mich vegetarisch oder vegan. Wenn ich Dinge kaufe, achte ich darauf, dass sie nachhaltig produziert und von hoher Qualität sind. Und mein bevorzugtes Verkehrsmittel ist die Bahn.
Das ist geradezu vorbildlich. Sie benutzen kein Auto mehr?
Doch, aber ein Elektrisches von BMW. Entscheidend bei der Wahl war für mich, dass das Unternehmen zumindest Klimaziele hat, die nach unseren Berechnungen 1.5°C-konform sind.
Das Thema Klima ist ja emotional sehr geladen. Was halten Sie von Klimaaktivisten, die sich auf die Strassen kleistern?
Ich halte dieses Verhalten für eine schwierige und ganz entscheidende Phase im Leben eines Menschen. Es ist gut, wenn wir wütend sind. Man muss dann aber aus der Wut herauskommen und seine Energie in etwas kanalisieren, das einem auch etwas zurückgibt – etwas schaffen. Sonst geht die Kraft ja einfach nur aus und man verliert das Interesse daran, Dinge verbessern zu wollen.
Mit Ihrem Climate–Tech–Unternehmen tun Sie genau das: Sie stellen Firmen Klima-Metriken bereit. Was ist das Besondere an Ihrem Service?
Wenn wir über Klimawirkung sprechen, heisst es ganz häufig: «Deutschland stösst X Tonnen CO2 aus, Unternehmen Y stösst Z Tonnen CO2 aus». Doch damit kann im Grunde niemand etwas anfangen. Kaum jemand weiss, ob das viel oder wenig ist, oder wie viel Tonnen CO2 denn ausgestossen werden dürfen, damit wir unsere Klimaziele erreichen. Bei right° gehen wir einen Schritt weiter: Wir haben eine Software entwickelt, die zeigt, wie viel Grad an Erderwärmung man erwarten muss, wenn sich die ganze Welt so verhalten würde, wie das untersuchte Unternehmen. Wenn jeder diese Kenngrösse – also °C – ver- steht, dann kann man anfangen Strategien zu entwickeln, um die Auswirkungen aufs Klima zu reduzieren.
Sie sind ursprünglich Psychologin. Was hat Psychologie mit dem Klimawandel zu tun?
Ich habe Psychologie studiert, weil ich Sportpsychologin werden wollte. Mich haben immer Menschen fasziniert, die ihr Ding gefunden haben; die alles und noch ein bisschen mehr geben und dem Rest der Welt zeigen, dass es geht. Was auch immer das ist. Am eindeutigsten ist das im Sport, wobei Höchstleistung im Kopf entsteht. Höchstleistung brauchen wir auch, um die Klimatransition hinzubekommen. Diese Herausforderung ist ein echter Stresstest für jeden einzelnen von uns als Menschen, für unsere Gesellschaft, für die Politik und die Wirtschaft. Ich geniesse es sehr, nun aus der Rolle eines Entrepreneurs heraus mit Menschen zu arbeiten, die die Höchstleistung erbringen wollen, ein System nicht nur anzuprangern, sondern es auch echt zu ändern.
Was stand bei der Themenwahl mehr im Vordergrund: Das drängende Problem? Oder ganz rational die Tatsache, eine gute Marktnische für einen Service, ein interessantes Produkt am Markt gefunden zu haben?
Eine Mischung: Zunächst kann ich mich an die Unerträglichkeit des Gefühls erinnern, als ich angefangen habe, das Problem Klimawandel zu verstehen. Warum baut man ein System auf, das eine Spur von Zerstörung, Krankheit und Frustration hinter sich herzieht? Eine passive Teilnahme an diesem Sys- tem bedeutet, seine eigene Würde zu verletzen. Man macht das einfach nicht – man zerstört diesen Planeten nicht. Ich kann das eigentlich nicht in Worte fassen, wie abstrus diese Unsin- nigkeit für mich ist.
Vom Psychologiestudium zum Climate-Tech-Unternehmen ist ein weiter Schritt. Wie gelang er Ihnen?
Ich komme aus einer Unternehmerfamilie, ich habe also gelernt zu machen und anzupacken. Natürlich habe ich überlegt, Aussteigerin zu werden, aber das wäre kein Ventil für diese Energie, die da entstanden ist und es wäre sicherlich kein Weg, Antworten auf meine Fragen zu finden. Warum also nicht ein Unternehmen bauen, das einem Raum für die eigene Lebensgestaltung gibt – und mir jeden Tag das Gefühl der Selbstwirksamkeit gibt? Dieses Gefühl ist Gold wert – im wahrsten Sinne des Wortes.
Spielt auch Idealismus eine Rolle?
Ich kann es nicht leiden, wenn man mich in die Ecke der Idealisten steckt. Für mich sind Idealisten viel zu viel mit sich selbst beschäftigt. Ich war auch mal idealistisch – durch die Phase muss man es aber durchschaffen hin zur intrinsischen Motivation. Idealismus führt nicht zu Veränderung und genau deshalb zur Radikalisierung. Wir haben einfach nicht mehr den Luxus zu debattieren, ob das aktuelle System hilfreich ist für das Lösen des Klimaproblems oder welche alternativen Systeme dafür besser geeignet wären. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir im Hier und Jetzt haben, denn die Hütte brennt. Unternehmerischer Erfolg ist über viele Wege ein Hebel für die Steuerung des Verhaltens der Menschen: Status, Kapital, Faszination und Identität. Ich bin davon überzeugt, dass er so eingesetzt werden kann, dass sich die Menschen mit Ehrgeiz auf das Lösen der Klimakrise fokussieren.
Worauf gilt es generell zu achten, wenn man ein Start-up gründet?
Das Wichtigste ist Integrität, also sich selbst gegenüber immer treu und ehrlich zu bleiben. Jeder zerrt an einem und als Gründer rückt man auf den Radar von Menschen, die ihr Helfersyndrom oder ihren Machtanspruch an einem auslassen wollen. Vor allem als weibliche Gründerin. Man darf nicht zur Marionette werden für Menschen, die für ihren eigenen Selbstwert Anerkennung durch andere suchen. Ausserdem sollte man jeden Tag mehr Fragen stellen als Antworten geben. Eine Lern- und Entwicklungskultur für sich zu etablieren ist essenziell. Das geht gut durch einen Co-Gründer oder einen Co-Geschäftsführer, den man wertschätzt und dem man vertraut. Und nicht zuletzt sollte man mindestens einen Hund haben, weil man einfach einen wahren Freund für jede Lebenslage braucht. Für die meisten Menschen ist das, was man als Gründer erlebt, weit weg und das ist auch völlig in Ordnung. Die Konsequenz ist dann aber, dass man sich gegenseitig nicht dort abholen kann, wo man mit dem steht, was einen beschäftigt. Es klingt irrsinnig, ist aber wahr – Hunde können das, was mir im Umgang mit diesem Umstand sehr hilft.
Sie führen das Start-up zusammen mit Ihrem Partner, der auch Ihr Lebenspartner ist. Wie beeinflusst dies die Zusammenarbeit, und wie ergänzen Sie sich?
Ein gemeinsames Unternehmen beeinflusst eine Partnerschaft sehr. Eine gesunde Partnerschaft hat für mich viel damit zu tun, dass jeder Partner Raum hat, sich stets zu erweitern. Gemeinsam eine Firma zu führen, ist die ideale Bedingung dafür. Entsprechend hat die gemeinsame Führung eine sehr positive Wirkung auf unsere Partnerschaft. Sebastian hat einen Hintergrund als Rechtsanwalt in der Finanzwelt. Er kennt die eiserne Disziplin und die harte Leistungskultur aus der Grosskanzlei. Seine Fähigkeiten, eine unternehmerische Basis aufzubauen versteht sich sehr gut mit meinem Interesse, eine echte Lösung bereitzustellen. Aus diesen beiden Blickwinkeln schauen wir gemeinsam auf alle strategischen Entscheidungen. Die Komplementarität zwischen uns ist, glaube ich, das grösste Asset für die Firma.
Was sind denn Ihre persönlichen Stärken, die Sie für dieses Unternehmen mitbringen?
Ich glaube, ich kann gut mit Komplexität umgehen, sodass wir zu systematischen und ganzheitlichen Lösungen kommen. Ausserdem bin ich neugierig – ich lerne also schnell und viel alles Mögliche, was uns nach vorne bringt. Und es muss weit gehen, dass ich etwas persönlich nehme, was Sachlichkeit selbst in schwierige Situationen bringt.
Und was sind Ihre Schwächen?
Ich bin fürchterlich ungeduldig. Das kann sich auf unterschiedlichste Weise negativ auf Beziehungen auswirken. Ausserdem bin ich nicht so gut in Betriebswirtschaft, wie man das in meiner Rolle vielleicht sein sollte. Da braucht es dann wiederum etwas Geduld von meinem CFO-Kollegen.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie merken, dass Sie bei der Arbeit auch mal an ihre Grenzen stossen – sei es physisch oder intellektuell oder psychisch? Was tun Sie dann?
Wenn es die physische Grenze ist, weil der Körper zu lange in einem angespannten Zustand war, dann ziehe ich die Notbremse und finde irgendwie Schlaf. Wenn es die intellektuelle Grenze ist, dann muss ich eben jemanden fragen. Und wenn es psychisch ist, dann ziehe ich mich zurück, bin für mich und gebe mir bewusst Raum. Das kann beim Sport sein, wo ich einfach meinen Körper spüre; nachts in einer Bar bei Musik, die mich völlig einnimmt; mit mir selbst sprechend auf Spaziergängen mit meinen beiden Hunden oder bei einem der wenigen Menschen, in deren blosser Gesellschaft ich eine Per- spektive empfinde.
Als Unternehmerin erlebt man Ups und Downs. Was ist der bisher grösste Erfolg, auf den Sie besonders stolz sind?
Wir haben verschiedene Projekte erfolgreich abgeschlossen und eine tolle Resonanz in der Öffentlichkeit bekommen. Der grösste Erfolg aber ist wohl, dass Sebastian und ich trotz der wirklich gnadenlosen marktwirtschaftlichen Lage für junge Unternehmen immer noch die ganz deutliche Mehrheit an right° halten.
Was war das bis dahin Schwierigste?
Corona, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Zinswende und die damit verbundenen anhaltenden Schwierigkeiten der Wirtschaft haben auch uns getroffen. Die multiple Krise erzeugte Unsicherheit und schob Projekte zur Ausarbeitung einer 1,5°C-konformen Klimastrategie auf der Prioritätenliste von vielen Unternehmen erst mal nach hinten. Wir haben uns deshalb einen Sparkurs verordnet und geschaut, wie wir unsere Ressourcen effizienter einsetzen. Dabei haben wir gemerkt, wie krisenunerfahren wir und unser Team sind. Wir fokussieren deshalb verstärkt darauf, unsere Entscheidungen und unsere Werte klar zu kommunizieren, damit für unsere Mitarbeiter die Erwartungen, die an sie gestellt werden, besser nachvollziehbar sind.
Wie laden Sie Ihre Batterien wieder auf?
Ich habe gelernt, im Moment zu leben, weil ich oft erlebt habe, dass im nächsten Moment einfach alles anders sein kann. Es gibt so unglaublich viele reiche Momente jeden Tag. Sie reichen locker, die Batterien auf mindestens Reservestatus zu halten.
Inwieweit gelingt es Ihnen, sich digital zu entkoppeln, wenn Sie Freizeit haben?
Ich habe kaum Freizeit, sodass ich wenig Gelegenheit habe, das zu üben. Entsprechend schlecht gelingt mir das leider.
Was würden Sie jungen Berufsfrauen raten, die sich jetzt gerade ins Berufsleben «stürzen»?
Dass sie alles erreichen können, solange sie in der richtigen Gesellschaft sind. Man muss höllisch aufpassen, wer um einen herum ist, denn man wird von jedem beeinflusst. Ob man will oder nicht. Manchmal ist man sich selbst die beste Gesellschaft – ertrage ich mich?
Wenn Sie sich nicht Climate Tech widmen würden, welche Thematik hätte Sie noch interessiert?
In irgendeiner Form etwas mit Tieren – Tierärztin, Polizeipferdetrainerin. Oder ich hätte eine Hundepension aufgemacht. Ich finde, Tieren gehört die Welt. Sie können nämlich mit ihr umgehen.
Was macht die private Hannah Helmke am liebsten?
Die private Hannah fotografiert sehr gerne, liebt es auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen, vom Tauchlehrer zu lernen, wie man sich mit den Meerestieren bewegt, einem Skilehrer eine Abfahrt hinterherzujagen und könnte Stunden in hochwertigen Inneneinrichtungshäusern verbringen.
Was tun Sie für Ihre persönliche Work-Life-Balance?
Ich habe dieses Wort bis heute nicht begriffen. Das ist aber auch egal. ★
ZUR PERSON
Hannah Helmke, 1988 in Rastatt in Baden-Württemberg geboren, gründete zusammen mit ihrem Partner Sebastian Müller das Softwareunternehmen right° und ist heute dessen Geschäftsführerin. Ihr Unternehmen hat eine Software entwickelt, die Firmen dabei unterstützt, die Klimastrategien an den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens auszurichten, also weniger als zwei Grad Erderwärmung anzustreben. Ihr Team besteht aus 20 Mitarbeitenden aus fünf Nationen, davon acht Frauen. Hannah Helmke studierte Psychologie und International Business, und war zunächst für einen IT-Dienstleister und die Deutsche Post DHL tätig, wo sie die Potenziale der Digitalisierung für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen erforschte.
2020 wurde sie mit dem Digital Female Leader Award in der Kategorie «Sustainability» ausgezeichnet, 2021 war sie Preisträgerin des AmCham Female Founders Award. Ihr Unternehmen wurde mit dem renommierten Next Economy Award ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren beiden Hunden in Frankfurt am Main und Baden-Baden.