Pirjo Kiefer
Head of Interior Design Services bei Vitra.
Wir haben mit Pirjo Kiefer darüber gesprochen, wie das Büro von morgen aussehen wird.
Interview: Brigitte Selden | Fotos: Vitra
Wird sich nach der durch das Coronavirus ausgelösten Pandemie die Art und Weise verändern, wie wir arbeiten? Und was bedeutet dies konkret?
Die aktuelle Situation hat uns alle ganz schnell gelehrt, digitale Tools einzusetzen, um die notwendige soziale Distanz nicht nur in unserem Arbeitsleben zu überwinden. Plötzlich ist Homeoffice für viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter eine geschätzte weitere Möglichkeit geworden. Auch für Unternehmen, die dem gegenüber zuvor sehr skeptisch waren. Diese Erfahrung sensibilisiert viele Geschäftsführer hinsichtlich der Bedeutung des Raums für ihren Unternehmenserfolg. Welche Arbeiten können in der Abgeschiedenheit des Homeoffice getätigt werden? Welche Art von Kollaboration funktioniert digital, und wann muss ich mich physisch treffen, um effizient und gewinnbringend arbeiten zu können? Was bedeutet Homeoffice für die angemieteten oder eigenen Büroflächen? Welche Auswirkungen hat es auf die Unternehmenskultur? Der Denkprozess ist eingeleitet, und jede Firma wird die Parameter neu für sich bestimmen. Sicher ist, dass Homeoffice als weitere Möglichkeit akzeptiert wird, und der Firmensitz, das physische Büro, eine neue Bedeutung bekommt: Das Büro als übergeordnete Heimat, soziale Plattform und Identifikationspunkt.
Inwiefern werden sich neue Vorsichtsmassnahmen für den Gesundheitsschutz auf die Gestaltung der Arbeitsräume auswirken?
Da vor allem die Einhaltung einer gewissen Distanz notwendig ist, sind Open Space Konzepte wie etwa unser Citizen Office auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein, ideal. Sie bieten durch ihre Grosszügigkeit, Flexibilität und Angebotsvielfalt Ausweichmöglichkeiten an, die eine Zellenstruktur niemals einräumen kann. Grossraumbüros lassen sich mittels mobiler Trennwände, wie beispielsweise mit unserem Produkt «Dancing Wall», oder flexibler Mikroarchitektur, wie den «Workbays», wunderbar auf die Bedürfnisse des Nutzers anpassen und strukturieren. Distanzen können eingehalten und Risikopersonen geschützt werden. Wenn jedoch ein Grossraumbüro rein auf Flächeneffizienz ausgerichtet ist, wird es schwierig. Dann muss der Belegungsgrad reduziert werden, was sich meist durch eine gewisse Homeoffice-Rate erreichen lässt. Eine entsprechende Oberflächenauswahl und angepasste Reinigungszyklen unterstützen den erhöhten Hygieneanspruch. Zusätzlich können Screens an Arbeitsplätzen oder Sitzelementen eingesetzt werden, die für die notwendige Distanz der Nutzer sorgen. Aktuell empfehlen wir noch Markierungen, beispielsweise auf dem Boden vor der Kaffeemaschine, oder auf Besprechungstischen, um dezent auf den gebotenen Abstand hinzuweisen.
Sie gehen bei Vitra davon aus, dass sich eine neue Work-Life-Balance entwickeln wird. Welche Auswirkungen hat dieser Trend auf das Büro und auf das zu Hause?
Für das Homeoffice braucht es eine entsprechende Ausstattung und Umgebung, um nicht von Privatem abgelenkt oder gestört zu werden. Dazu gehört zum Beispiel ein ergonomischer Bürostuhl, der aber so ansprechend aussieht, dass er auch an den Küchentisch gestellt werden kann. Gleichzeitig bedeutet das Arbeiten von zu Hause eine geringere Besetzungsdichte im Büro und ermöglicht, dass der erforderliche räumliche Abstand zwischen den Anwesenden eingehalten wird, aber auch, dass das Büro eine neue Bedeutung bekommt. Es muss so attraktiv sein, dass der Mitarbeiter gern kommt und es zu einer sozialen Plattform für das Unternehmen wird. Die flexiblere Gestaltung der Arbeitswoche wirkt sich durch weniger Pendeln zudem sehr positiv auf unseren ökologischen Fussabdruck aus. Und sie wird auch den Zugang zu einem globalen Pool an hochqualifizierten Arbeitskräften erleichtern. Andererseits spüren wir alle im Homeoffice eine gewisse Entfremdung. Als ich nach elf Wochen Abwesenheit wieder auf unseren Campus in Weil am Rhein konnte, war das wie ein Aufladen meiner Vitra-Batterie, ein Heimatgefühl kam auf.
Sollte das Thema «soziale Distanzierung» auch weiterhin aktuell bleiben, welche Konsequenzen wird dies etwa auf die Organisation von Meetings und die Raumplanung der Arbeitsplätze haben?
Die Leitplanken für physische Besprechungen müssen neu definiert werden. Es gibt eine Menge Leute, die zurück ins Büro wollen. Wie kommt das? Schon vor der Krise wussten wir, dass 80 Prozent der Ideen, die wirklich innovativ sind, aus der direkten, persönlichen Kommunikation kommen. Das ist auch eines der Ergebnisse einer Studie, die vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) durchgeführt wurde. Für die gegenwärtige Situation bedeutet dies, dass die digitalen Technologien zur Effizienzsteigerung beigetragen haben, indem sie es den Menschen ermöglichen, Projekte zu verwalten und umzusetzen, unabhängig davon, wo sie arbeiten. Aber wenn es um kritische Analyse, Kreativität und Innovation geht, gibt es keinen Ersatz für direkte Kommunikation. Deshalb werden die Büros in Zukunft so gestaltet sein, dass diesen kollaborativen Prozessen Priorität eingeräumt wird. Aber jedes Unternehmen wird seine eigene Vorstellung davon haben, um welche Prozesse es sich genau handelt und wo die Grenze zwischen den Situationen, in denen die Mitarbeiter zu Hause effektiver arbeiten können, und den Zeiten, zu denen sie ins Büro kommen sollten, gezogen werden muss. Hier gibt es kein richtig oder falsch – es ist ein Spektrum. Es wird für jede Firma, jede Person und jedes Team anders sein, mit unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Regeln und Verfahren eingeführt werden, um zu bestimmen, wann es für die Menschen besser ist, zu Hause zu arbeiten und wann nicht.
Inwiefern werden vor diesem Hintergrund neue Richtlinien für die gemeinsame Nutzung von Räumen entstehen?
Regeln, Richtlinien und Empfehlungen werden bereits von einzelnen Regierungen eingeführt – zum Beispiel von dem Deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit – die den Flächenbedarf pro Person und den Mindestabstand zwischen Mitarbeitenden festlegen. Was davon bleibt, werden wir sehen und entsprechend umsetzen müssen. Zusätzlich erleben wir, wie einige unserer Kunden auf Basis dieser Vorgaben ihre eigenen Regulationen definieren. Dazu gehören, wie oben erwähnt, Regelungen für Homeoffice, aber auch für gestaffelte Arbeitszeiten, um die Belegungsdichte der Büroflächen zu entspannen. Hier unterstützen wir beratend, denn bei diesen Überlegungen verknüpfen sich Arbeitsprozesse und Workflow-Notwendigkeiten, Unternehmenswerte und -visionen mit der Komponente Raum.
Was haben wir aus Ihrer Sicht von Covid-19 konkret gelernt?
Das kann ich nicht für jede Leserin beantworten, doch ich, und das beobachte ich auch in meinem direkten Umfeld, habe gelernt noch flexibler zu sein und freier zu denken. Wir haben uns alle sehr schnell neue digitale Tools angeeignet und unsere Arbeitsweise daran angepasst. Wir mussten alle lernen, dass Selbstverständlichkeiten, wie unter anderem das Reisen, eben nicht selbstverständlich sind. Und wir haben gelernt, was unsere urmenschlichen Bedürfnisse sind. Wir brauchen die soziale Interaktion und physische Begegnungen.
Der Weg zurück ins Büro
In der E-Paper Reihe «Back To The Office» stellt Vitra ihre Erkenntnisse aus der Rückkehr ins Büro und dem Übergang zu einer neuen Normalität vor:
https://www.vitra.com/de-de/back-to-the-office
Über Pirjo Kiefer
Seit über 20 Jahren sammelt Pirjo Kiefer Erfahrungen im Bereich Büroplanung im In- und Ausland. Dabei begleitet sie mittelständische Firmen bis hin zu grossen Konzernen bei der Findung der jeweils passenden Arbeitsplatzumgebung. Die studierte Innenarchitektin arbeitet seit 2006 bei Vitra im Bereich Interior Design Services, dessen Leitung sie 2015 übernahm. Besonders die Digitalisierung und Globalisierung fordern neue Denkansätze im Bereich Büroplanung und geben dem gebauten Raum eine neue Relevanz. Immer mehr Firmen entdecken die Kraft einer gut gestalteten Büroumgebung, die deren Arbeitsabläufe, Arbeitsweisen und Kultur unterstützen und bestärken. Das tiefe Eintauchen in die Strategie und Struktur eines Unternehmens, das Aufspüren der Kultur und deren Umsetzung in ein massgeschneidertes Büro fasziniert Pirjo Kiefer noch immer.