In den obersten Führungsebenen der Pharmaindustrie ist der Frauenanteil deutlich höher als in anderen Branchen. Warum das so ist, haben wir Silvia Schweickart, Chefin bei Novartis Pharma Schweiz, gefragt.

Seit drei Jahren hat sie die Verantwortung für ein Unternehmen mit rund 270 Mitarbeiterinnen und  Mitarbeitern, das für die Vermarktung von über 100 verschreibungspflichtigen Medikamenten zuständig ist. Allerdings hat Silvia Schweickart diese Führungsposition nicht bewusst angepeilt, ganz im Gegenteil: «Es handelt sich um einen puren Zufall. Zu Novartis bin ich über einen Headhunter gekommen. Als mir die Funktion der Pharma-Chefin angeboten wurde, nutzte ich diese Chance.» In der Gesundheitsbranche hat sie schon früh Fuss gefasst, ob als Head of Regional Marketing Europe bei Merz Aesthetics oder General Manager Switzerland bei Nestlé Skin Health S.A.

WOMEN IN BUSINESS: Silvia Schweickart, zu Ihren Aufgaben gehört, die Medikamente des globalen Novartis-Konzerns zu Patientinnen und Patienten in der Schweiz zu bringen. Was ist Ihre grösste Herausforderung?
Silvia Schweickart
: In unserer Branche nehmen Anforderungen aufgrund von Regularien, Behörden, aber auch Vergütungsverhandlungen und Compliance-Themen einen zentralen Platz ein. Das ist einerseits mit Einschränkungen verbunden und andererseits notwendig, damit die Arzneien eine optimale Wirkung erzielen und beispielsweise auch Nebenwirkungen rechtzeitig identifiziert werden können. Ich übe eine spannende Tätigkeit aus, zumal unser Konzern den Auftrag hat, mittels Therapien und Medikamenten vielen Patientinnen und Patienten Hoffnung auf Verbesserung ihrer Symptome oder gar auf eine mögliche Heilung zu schenken. Hierzu einen Beitrag leisten zu können, spornt mich immer wieder aufs Neue an.

Stichwort sozialer Aspekt: Ist dies einer der Gründe, weshalb mehr Frauen in der Pharmabranche vertreten sind, zumal diese laut manchen Forschern empathischer sind als Männer?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. In unserem Sektor weisen wir grundsätzlich einen hohen Frauenanteil auf, was auch auf mein Team zutrifft. Die Pharmaindustrie hat schon früh erkannt, dass Diversität nicht lediglich Männer und Frauen einschliesst, sondern auch unterschiedliche Hintergründe, Altersgruppen und verschiedene berufliche Erfahrungen, welche mit einem Mehrwert verbunden sind. Dadurch lässt sich eine grössere Nähe zur Kundschaft herstellen, da wir deren Bedürfnisse besser verstehen können. Novartis hat diesen Trend nicht zufällig aufgegriffen, denn es herrscht ein intensiver Wettbewerb um Nachwuchstalente. Wir können es uns nicht erlauben, auf männliche und weibliche Anwärter zu verzichten, die unserem Anforderungsprofil entsprechen. Deshalb unterstützen wir auch Eltern in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Vor zwei Jahren haben wir zudem den Vaterschaftsurlaub eingeführt, und viele Männer nehmen dieses Angebot in Anspruch. Teilzeitanstellungen nehmen ebenfalls einen hohen Stellenwert ein.

Nach wie vor werden Teilzeitpensen kritisch betrachtet im Hinblick auf eine vielversprechende Karriere. Wie denken Sie darüber?
In meinem Team nehmen mehrere Führungskräfte kein Vollpensum wahr. Natürlich bringt eine verantwortungsvolle Position auch zeitliche Investitionen und Verpflichtungen mit sich. Dennoch übernehmen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Teilzeitpensum bei Novartis, und ich überlasse ihnen die Organisation. Ich würde nicht bestätigen, dass ein geringerer Beschäftigungsgrad weniger Chancen mit sich bringt. Oftmals ist es auch so, dass Personen zunächst 100 Prozent tätig sind, schliesslich reduzieren und zu einem späteren Zeitpunkt wiederum aufstocken.

Also gilt es nach wie vor, gegen Vorurteile anzukämpfen?
Absolut. Kreative Lösungsansätze sind gefragt. Wenn jemand mit einer 100-Prozent-Stelle auf 50 Prozent reduzieren möchte, kann man beispielsweise überlegen, ob ein Jobsharing eine gute Möglichkeit darstellen könnte.

An welche weiteren Arbeitsmodelle denken Sie?
Das hybride Arbeiten erfreut sich zunehmender Beliebtheit, und im Gegensatz zu manch anderen Firmen zeige ich mich als Chefin in dieser Hinsicht flexibel. Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, bringt Flexibilität in den Alltag hinein. Trotzdem lege ich Wert darauf, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ins Büro kommen, um die Teamkultur aktiv zu leben, was einen Lunch oder einen Apéro miteinschliessen kann.

Kamen jemals Zweifel auf, Ihrer Position nicht gerecht zu werden?
Natürlich hegt man zu Beginn gewisse Bedenken. Der Respekt war vorhanden, aber nicht aufgrund meines Geschlechts. Ich finde es wichtig, einen leitenden Posten aus der inneren Überzeugung heraus zu übernehmen.

Was unterscheidet Sie von anderen Chefinnen?
Ob ich tatsächlich anders bin, kann ich nicht beurteilen. Für mich nimmt die Teamkultur einen wichtigen Platz ein. Ich lege Wert auf einen respektvollen Umgang, eine offene Kommunikation und gegenseitiges Vertrauen. In einer Leadership-Funktion muss ich nicht nur die Unternehmensstrategie gestalten und umsetzen, sondern nehme auch eine grosse Verantwortung gegenüber anderen Menschen wahr.

Sie vertreten den Standpunkt, dass nicht das jeweilige Geschlecht im Fokus stehen soll im Zusammenhang mit Stellenbesetzungen.
Das trifft zu. Frauenförderung wird oft medial aufgegriffen. Aber ich stelle mich dagegen, in erster Linie eine weibliche Person zu berücksichtigen. Mir liegt viel daran, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutlich zu kommunizieren, dass wir Menschen mit passenden Profilen auswählen. Wir haben auch keine Frauenquote eingeführt. Die Person, welche am meisten überzeugt, erhält den Zuschlag.

Welche Eigenschaften sind notwendig, wenn man eine Führungsposition anstrebt?
Man muss den Willen aufbringen, innerhalb des Unternehmens etwas zu verändern sowie Einsatz zu zeigen und Mut aufzubringen. Wenn die nötige Passion in Bezug auf die Führungsrolle fehlt, wird sich kein Erfolg einstellen. Jüngeren Talenten, die sich noch in einer Entwicklungsphase befinden, gebe ich  gerne meinen «3×2-Tipp» mit auf den Weg. Wichtig ist, für unterschiedliche Funktionen offen zu sein und wenigstens in zwei unterschiedlichen Funktionen gearbeitet zu haben – zum Beispiel im Marketing- und zusätzlich im HR-Bereich. Diese Breite an Erfahrungen ist essenziell. Wer in einer internationalen Firma tätig ist, sollte ausserdem in mindestens zwei unterschiedlichen Ländern gelebt und gearbeitet haben. Schliesslich sollte die Person Erfahrung in mindestens zwei verschiedenen Geschäftsmodellen mitbringen, beispielsweise in einem Startup und in einem Grosskonzern.

Diversität wird in Ihrem Unternehmen ebenfalls grossgeschrieben. Weshalb?
Wir bieten unterschiedliche Jobprofile an, unter anderem im Aussendienst, im Marketing oder in der Qualitätskontrolle. Unternehmen können es sich nicht leisten, auf einen Teil der arbeitenden Bevölkerung zu verzichten, weil die Bandbreite an Ausbildungen, Berufserfahrung sowie Meinungen dringend gefragt ist – ebenso wie unterschiedliche Persönlichkeiten und Führungsstile. Das muss gezielt gefördert werden, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Kann die Diversität auch deshalb besser gelebt werden, weil Novartis ein internationaler Konzern ist?
Das würde ich nicht sagen, denn auch lokale Firmen können diesen Grundsatz bestens umsetzen und sich überlegen, wie sich dies fördern lässt. Es trifft zu, dass wir über Möglichkeiten verfügen, internationale Talente aus diversen Ländern an Bord zu holen. Das hat allerdings nichts mit unserer eigentlichen Firmenkultur zu tun. Die Verbindlichkeit, die Attraktivität des Arbeitgebers sowie die Entwicklungschancen gehören zu den Grundvoraussetzungen, um eine Arbeitsstelle attraktiv zu gestalten. Es existieren auch spezielle Förderungsprogramme für Frauen mit unterschiedlichem Fortschritt in den jeweiligen Branchen.

Stossen Sie hin und wieder an Ihre Grenzen?
Das kann zuweilen vorkommen, aber viele Menschen in Führungspositionen müssen mit einem vollen Terminkalender zurechtkommen. Viele Themen werden oft gleichzeitig an mich herangetragen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit Stresssituationen umzugehen. Abends gönne ich mir oft eine Yogastunde.

Das Gesundheitswesen steht vor grossen Veränderungen und Entwicklungen. Die Unternehmensstrategie muss laufend überprüft werden. Wie packen Sie das konkret an?
Die Diskussionen rund um die Bedeutung von Innovationen sowie um den Zugang zu neuen Medikamenten gewinnt weiter an Bedeutung. Ich setze mich für Lösungen ein, die sich gut umsetzen lassen und einen Mehrwert für alle Akteure im Gesundheitswesen bringen. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen. ★


 

Silvia Schweickart
Nach Absolvierung der American School of Paris und der Erlangung des Bachelor und Master of Business Administration (BBA) an der Pepperdine University Los Angeles (USA) sowie eines MBA an der WHU-Otto Beisheim School of Management in Deutschland stieg Silvia Schweickart bei Saatchi & Saatchi Healthcare Communications ein. Es folgten Stationen bei Merz Aesthetics in Deutschland und Grossbritannien. Anschliessend übernahm sie die Rolle des General Managers für die Schweiz bei Nestlé Skin Health. Seit 2019 ist sie Vorsitzende der Geschäftsleitung bei Novartis Pharma Schweiz.

 

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Die nächste WOMEN IN BUSINESS Ausgabe wird am 16.05.2024 lanciert

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