In Schweizer Rebbergen stehen immer mehr Frauen, und ihr Wein ist wie sie: Er hat Charakter. Drei der erfolgreichsten jungen Protagonistinnen und die bekannteste Weinbloggerin des Landes sprechen über ihre tägliche Arbeit, männliche Vorurteile und darüber, ob der Weinbau von den guten Seiten des Klimawandels profitieren kann.
An den Ufern des Bielersees wird seit jeher Weinbau betrieben. Klöster und Adelsfamilien waren früher die Besitzer der Rebberge. Mit der Reformation im 16. Jahrhundert verloren diese jedoch ihre Besitztümer an den Staat und an die Patrizier von Bern und Biel. Die Eigentümer wechselten, doch die Rebarbeit lag weiterhin in denselben Händen wie vorher, in jener der Seeanwohner. Doch nach und nach, die Geschichte der Schweiz ist auch die Geburt demokratischen Prinzipien, wurden aus Arbeitern Besitzer. Nicht aber Besitzerinnen!
Das ändert sich seit kurzem auf erfreuliche Weise und für ein eher doch träges Land sogar in erstaunlichem Tempo. Im Schweizer Weinbau findet ein Generationswechsel statt, in der Weinbauregion Bielersee genauso wie in der deutschen Schweiz und im Tessin. Immer öfter übernehmen junge, bestens qualifizierte Betriebsleiterinnen, Winzerinnen und Önologinnen ein Weingut, und nicht selten geben innovative Spitzenwinzer ihr Unternehmen an ihre kreativen Töchter weiter. Eines verbindet diese unterschiedlichen Frauen in einem vermeintlichen Männerberuf. Sie haben Charakter, sie haben Temperament. Und genauso ist ihr Wein, den sie erfolgreich und unter den Argusaugen der männlichen Kollegen produzieren: Er ist ein Produkt, das aus der Menge hervorsticht.
Sensibilität macht den Unterschied
In der einzigartigen Reblandschaft am Nordufer des Bieler- sees scheint die Welt noch in Ordnung. Durch Twann zu bummeln beispielsweise, ist eine Reise in die Vergangenheit. Die historischen Häuser zeugen von einer alten Weinbautradition, an der sich bis heute nichts geändert zu haben scheint. Doch man kann sich täuschen, Anne-Claire Schott steht in einem steilen Weinberg, den sie von ihrem Vater übernommen hat, sie leidet an diesem Herbsttag unter der Hitze, die neu für sie ist. Zeigen sich so die Folgen des globalen Klimawandels? Ist denn nicht der Weinbau ein Profiteur der steigenden Temperaturen? Es gibt Fachleute, die solches propagieren. Je mehr Sonnenstunden, umso besser der Wein, glauben sie.
Die engste Mitarbeiterin und Studienfreundin von Anne-Claire Schott, die Winzerin und Önologin Helena Hebig, hilft auch heute bei der anstrengenden Ernte. Sie hat zum veränderten Klima der zurückliegenden Jahre und den Folgen für den Weinbau eine dezidierte Meinung: «Die Haltung, dass sich der Klimawandel positiv auf unsere Weine auswirke und die Wein im Süden sowieso besser seien, ist überholt. Gute Weine setzen eine hohe Sensibilität der Winzerin oder des Winzers voraus, für das Mikroklima des Rebbergs und seine Veränderungen. Wir müssen Respekt vor der Natur haben, damit wir aus ihr schöne Weine schöpfen können. Für die Qualität des Produkts sind wir selbst verantwortlich.»
Anne-Claire Schott, eine Quereinsteigerin mit akademischem und künstlerischem Hintergrund, die mit lokalen Kunstschaffenden das Marketing ihres Betriebs gestaltet, kann ihr nur zustimmen. Sie ist überzeugt, leide der Mensch wie in diesem Herbst an der Hitze, leide auch die Rebe. Und wenn dieser sich gut fühle, etwa in einem Rebberg, in dem auch Bäume stehen, Pfirsichbäume sind es bei Schott, dann gehe es auch der Pflanze entsprechend besser.
Hände sind Energieüberträger
Die Winzerin, Betriebsleiterin und ausgebildete Önologin trägt Gummistiefel, steigt später in den Weinkeller und prüft die Tagesernte. Wie werden die Trauben reagieren, die heute so warm, vielleicht zu warm geschnitten wurden? Ihr Unternehmen ist das einzige Demeterzertifizierte Gut in der Gegend. Mit diesem Gütesiegel macht sie sich bewusst zur Nischenproduzentin: Unter den rund 7000 Weinbaubetrieben der Schweiz sind lediglich rund 60 Demeter-zertifiziert. In Schotts Philosophie darf der Wein kein standardisiertes Produkt sein. Ehrensache, dass sie und ihr kleines Team alles in Handarbeit erledigen. Man versucht, die Natur zu unterstützen, die «Stimmung» im Weinberg zu verbessern, bemüht sich um Biodiversität, spritzt mit Tee, Pflanzensud oder mit ätherischen Ölen.
«Ich arbeite nicht mit einer klassischen wirtschaftlichen Strategie oder einem Businessplan. Ich versuche, vom Herzen aus zu arbeiten, auf mein Gefühl zu hören und etwas zu kreieren, was mir entspricht. In der Schweiz haben wir die grosse Chance, ein kleines Weinproduktionsland zu sein. Es lohnt sich, kleine, rare Produkte herzustellen und auf Handarbeit zu setzen. Hände übertragen Energie, der viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Natürlich sind die Produktionskosten viel höher als im Ausland. Aber wir haben auch die Kundschaft, die bereit ist, einen qualitativen Wein zu bezahlen. Wenn man wie ich seiner Intuition folgt, wenn man Weine begleitet, wenn man Gelegenheiten wahrnimmt – und nicht nur vernünftig sein will, dann geht es von alleine.» Schott bearbeitet vier Hektaren und produziert jährlich zwischen 25 000 und 30 000 Flaschen Wein. Demeter herzustellen ist für sie ein politisches Statement. Sie meint, billig zu produzieren lohne sich nicht, denn das Ausland sei immer billiger. Mit ihrer Überzeugung scheint sie richtig zu liegen. In den vier Jahren, in welchen sie den väterlichen Betrieb in eigener Verantwortung führt, hat die Trauben-Komponistin Schott ihren Kundenstamm vervierfacht.
Jeden ihrer Kunden kennt sie persönlich, so stellt sich Bindung her und Kundentreue. Zwar kauft man heute geringere Mengen als früher ein, das ist der allgemeine Trend. Doch man trinkt variantenreicher, ist offen und probiert gerne Neues aus. Und auch die Jungen, die Nachwuchs-Trinker sozusagen, stehen in ihrem Interesse für gutem Wein den älteren Menschen in nichts nach.
Die letzte Männerbastion muss fallen
Das entspricht auch den Beobachtungen der erfolgreichsten Weinbloggerin des Landes. Madelyne Meyer leitet den Bereich Marketing und Kommunikation der familieneigenen Weinkellerei Aarau, sie ist ohne Zweifel die unkonventionellste Protagonistin der Schweizerischen Weinwelt. Ihr Blog mit dem Namen «Edvin» weiht Geschlechtsgenossinnen in das sinnliche Universum von Rot, Weiss und dem dazwischen ein. Meyer spricht die Sprache der Konsumentinnen, und alles, was sie sagt und tut, sprüht vor Energie.
«Die Leute trinken weniger, aber sie setzen sich mit der Materie mehr als früher auseinander. Meine Generation, die Gruppe der Millennials, wurde von der Weinbranche lange vernachlässigt. Man argumentierte, dass ihnen die Kaufkraft fehle. Meine Erfahrung ist eine andere. Ich stelle fest, auch jüngere Menschen geben gerne etwas mehr Geld aus für qualitativ hochstehenden Wein. Doch sie wollen zum Beispiel mit Degustation aufgefordert und informiert werden.»
Für Meyer ist Wein keine Kunst. Er sei das Ergebnis des magischen Handwerks, eine Region in einen Geschmack zu verwandeln, meint sie. Und diesen Sinn, den Geschmackssinn sowie das Talent, darüber zu reden, scheint ihre zweite Natur, so selbstverständlich und glaubwürdig kommt es daher. Ihre Begabung hilft ihr bei ihrer persönlichen Mission, mit der verzopften Vorstellung aufzuräumen, wonach Frauen keinen Schimmer von Wein hätten. Und auch keine Absicht, Männern je dieses alte Hoheitsgebiet streitig machen zu wollen. Doch die Weinwelt hat nicht mit der unverblümten «Edna» und ihrer scharfen rhetorischen Klinge gerechnet. Zum Beispiel meint sie furchtlos, wissend, dass sie sich mit ihrer Ansicht nicht nur Freunde macht:
«Männer und Frauen produzieren anders Weine. Und vielleicht produzieren sie sogar anderen Wein, man hört solche Stimmen. Ich persönlich, wenn ich ihn blind trinke, kann den Unterschied nicht feststellen. Doch für Weintrinkerinnen hat es eine Bedeutung, wenn sie sehen, dass Wein auch von Frau- en gemacht wird. Sie kaufen ihn eher, denke ich.» Und energisch wagt sie sich an ein Tabu, das der Überproduktion von Schweizer Massenwein: «Wir haben jetzt, Stand heute, viel zu viel Schweizer Wein. Die Tanks sind noch voll von 2019. Winzer und Winzerinnen bleiben auf ihren Weinen sitzen, das kann existenzgefährdend sein. Um dagegen etwas zu tun, muss die Schweiz, und das ist vielleicht eine krasse Aussage, weniger Masse produzieren.»
In der Ruhe liegt die Kraft
In der Südschweiz, im Sottoceneri, ist die Winzerin Myra Zündel die Exotin, die alles ein bisschen anders macht. Persönlicher und aus einer inneren Gewissheit heraus, die ihr die Natur vermittelt. «In unserem Beruf entscheidet die Natur, nicht unser Plan. Das kann Angst machen, doch es ist auch das Schönste an dieser Arbeit. Zu wissen: Es ist einfach so. Das gibt mir eine grosse Ruhe.» Die Gelassenheit braucht sie, denn der Klimawandel ist im Tessin spürbarer als in anderen Regionen der Schweiz. «Wir hatten schon immer viel Regen und viel Sturm und Hagel, und es kann sehr heiss sein. Doch die Extreme haben mit dem Klimawandel zugenommen, die Natur ist unvorhersehbar geworden. 2018 hagelte es bereits im Mai, das ist meines Wissens so früh noch nie passiert. Diesen Sommer hatten wir auch mehr und heftigeren Regen als üblich, im September war es dreissig Grad, solche Hitze gab es in der Vergangenheit nicht.»
Ihr Vater, Christian Zündel, zählt zu den Weinpionieren des Tessins, ein Deutschschweizer, der mit ähnlich Gesinnten Ende der achtziger Jahre ins Malcantone zog. Biodynamisch erzeugte Merlot- und Chardonnay-Gewächse, sowie Erbaluce, eine autochthone Weissweinsorte aus dem Nordpiemont, wachsen in Beride auf rund vier Hektaren Rebland und ergeben jährlich 13 000 bis 15 000 Flaschen. Das Weingut Zündel ist bis heute im Tessin der einzige biodynamische Demeter-zertifzierte Betrieb geblieben. Seit 2018 bearbeitet die Tochter die Hänge, vinifiziert im Keller und verkauft. Doch die Zukunft des Unternehmens steht in den Sternen.
«Wir haben zum Glück sehr alte Reben, die das alles noch aushalten. Aber wer weiss, was noch passiert. Man kann zudem nicht von heute auf morgen die Sorte wechseln. Man muss lange beobachten, wie sie die Temperatur oder den Niederschlag einer Region oder Krankheiten aushält. Bis man die Rebe versteht, dauert es zwischen 10 und 20 Jahren.»
Zeit ist für die Natur kein Thema, sie hat sie unbeschränkt. Doch für die Weinbäuerinnen, die ihr Unternehmen wirtschaftlich führen müssen, sind der Faktor Zeit und die Unwägbarkeiten des Klimas eine neue zusätzliche Variable in einem Risikogeschäft.