Versicherer wollen ihre Kunden mit digitalen Technologien bei der Stange halten. Konzerne investieren deshalb Millionen in kleine Startups. Zum Beispiel in das junge Basler Unternehmen Creadi AG.

Achtung, wir starten direkt mit einem fiesen Buzzword: Insurtech. Sagt Ihnen nichts? Sollte es aber. Insurtech ist eine Revolution, zumindest im Versicherungswesen. Das Kofferwort aus Insurance (Versicherung) und Technology bedeutet nichts anderes, als dass die Digitalisierung auch vor der Versicherungsbranche nicht haltmacht. Jetzt gilt es, aufzuspringen oder ewig hinterherzuhinken. Versicherungen wollen mit digitalen Lösungen an ihren Kunden dranbleiben. Prozesse sollen vereinfacht und möglichst automatisiert werden.

Kuratierter Versicherungsmarktplatz statt endloser Beratung

Dafür suchen sich die Versicherungen Startups. Die sind freier, innovativer und vor allem schneller in der Entwicklung neuer Produkte. «Man kann sich das so vorstellen», sagt Désirée Mettraux: «Du hast die grosse ‹Queen Mary›: die Versicherung mit festen Strukturen und klaren Prozessen. Und du hast das agile, wendige Schnellboot: das innovative Startup.»

Mettraux ist CEO der Creadi AG, ein Basler Insurtech-Startup und Tochtergesellschaft des Lebensversicherers Pax. Das mittlerweile 14-köpfige Unternehmen will digitale, auf den Kunden fokussierte Geschäftsmodelle auf den Markt bringen. Ein paar Coups sind Creadi in ihrem zweijährigen Bestehen bereits gelungen: Das Startup hat die erste empfehlungsbasierte Versicherungsplattform der Schweiz inklusive App entwickelt, mit der man innerhalb von 60 Sekunden eine Versicherung abschliessen kann.

Simpego heisst diese Plattform, mit der man via Kreditkarte spontan und gezielt sein Hab und Gut versichern kann. Das Smartphone, das Velo, eine ganze Reise. Mettraux sagt dem: «kuratierter Versicherungsmarktplatz». Unter den Partnern finden sich bekannte Namen wie Vaudoise, ERV, Coop Rechtsschutz und Baloise. Die gestandenen Versicherer wollen offensichtlich den digitalen Wandel nicht verschlafen. Dürfen sie auch nicht, wenn man Raphaela Kurer zuhört. «Bisher lief es so: Du verlangst eine Offerte und kriegst 60 Seiten nach Hause geschickt, die du durchlesen musst», erklärt die Marketing-Verantwortliche von Creadi. «Eventuell sitzt noch ein Berater zu dir in die Stube. Das wird heute einfach nicht mehr nachgefragt. Wenn man da als Unternehmen nicht reagiert und mitzieht, verliert man Kunden.»

Investitionen in Milliardenhöhe

Damit das nicht passiert, wird ordentlich Geld ausgegeben. Im zweiten Quartal 2017 investierten Versicherer weltweit fast eine Milliarde US-Dollar in Insurtech-Startups. Das ist mehr als in den drei vorherigen Quartalen zusammen. Auch die Schweiz zieht kräftig mit. 2017 investierte zum Beispiel die Baloise-Gruppe in zwei amerikanische Insurtech-Startups. Im Jahr davor gab der Versicherer bekannt, zusammen mit der Investment- und Beratungsfirma Anthemis insgesamt 50 Millionen Franken in Insurtechs investieren zu wollen. Man rechne mit zehn Investment-Tranchen bis 2021. Es herrscht Goldgräberstimmung, obwohl es kaum ausgereifte Produkte auf dem Markt gibt.

Einen ähnlichen Kurs fährt Helvetia. Anfang 2017 errichtete das Unternehmen einen 55 Millionen Franken schweren Venture Fund zugunsten von Insurtech-Startups aus ganz Europa. Gleichzeitig startete Helvetia mit der Swiss Startup Factory ein «Accelerator Programm», um Startups «mit einer Affinität zum Helvetia-Kerngeschäft» zu pushen.

Keine Frage: Es herrscht Goldgräberstimmung. Und das, obwohl es kaum ausgereifte Produkte auf dem Markt gibt. Mettraux erklärt: «Heute ist es nicht mehr so, dass ein Produkt zu 100 Prozent fertiggestellt ist, bevor es auf den Markt kommt. Heute geht man eher auf 70 oder 80 Prozent, um erst einmal zu testen, ob es funktioniert und wie sich die User verhalten.» Die digitale Entwicklung auf dem Markt sei unglaublich schnell geworden. «Täglich poppt etwas Neues auf.» Um da mithalten zu können, müsse man zügig arbeiten.

Und was passiert eigentlich mit meinen Daten?

Ohnehin sind die Versicherungsgesellschaften in erster Linie auf etwas ganz anderes heiss: auf Know-how, das sich Startups wie Creadi zügig aneignen. «Wir wollen die Bedürfnisse unserer Kunden verstehen», sagt Mettraux. «Will jeder nur online abschliessen? Braucht er zusätzliche Informationen? Wenn ja, wie können wir ihm die am einfachsten geben? Und wohin entwickelt sich das Ganze in den nächsten drei Jahren?»

Antworten auf solche Fragen geben die Nutzerdaten. Doch was passiert eigentlich damit? «Sicherheit ist ein grosses Thema und dem Schweizer User ein wichtiges Anliegen», sagt Marketing-Verantwortliche Kurer. Mettraux ergänzt: «Als Tochtergesellschaft von Pax halten wir uns an strenge Auflagen im Bereich Compliance.»

Dass Konzerne das Thema Datenschutz zuweilen durchaus ernst nehmen, zeigt das folgende Beispiel: Das Zürcher Insurtech-Startup Knip sorgte im Oktober 2015 für Schlagzeilen. 15 Millionen Investment-Franken konnte es für seinen digitalen Versicherungsbroker einholen – die grösste Summe, die ein Fintech- beziehungsweise Insurtech-Unternehmen in der Schweiz je erhalten hat. Wenige Monate später beendete Partner Helsana, der grösste Krankenversicherer der Schweiz, die Zusammenarbeit bereits wieder. Grund: Helsana wollte Knip «gesundheitsrelevante und somit sehr persönliche Daten» ihrer Kunden nicht anvertrauen.

Informatiker statt Versicherungsberater

Beim Thema Digitalisierung steht noch ein weiteres grosses Thema im Raum: Laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey steht jeder vierte Versicherungsjob auf dem Spiel. Mettraux wiegelt ab: «Natürlich kannst du mithilfe der Digitalisierung in gewissen Bereichen Personal einsparen», sagt sie. «Dafür tun sich auch neue Felder auf. Es braucht weiterhin Manpower, aber andere Skills.» Diese Bewegung sehe man in allen Branchen.

Kurer doppelt nach: «Es ist nicht so, dass es den Versicherungsberater in Zukunft nicht mehr brauchen wird. Die Erfahrung zeigt: Die Leute möchten online abschliessen, doch vor dem Abschluss häufig noch mit einem Berater sprechen.»Kunden wünschen sich laut Kurer heute eine Auswahl an Optionen und möchten selber bestimmen, auf welchem Weg sie Informationen beziehen und Dienstleistungen respektive Produkte kaufen.

 

Désirée Mettraux ist CEO der Creadi AG. Das Basler Insurtech-Startup ist eine Tochtergesellschaft des Lebensversicherers Pax. Ziel des Unternehmens ist es, digitale, auf den Kunden fokussierte Geschäftsmodelle zu etablieren.

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