«Seid ihr noch einig, oder habt ihr schon geteilt?»,sagt der Volksmund, wenn es ums Thema Erben geht. Doch Streitigkeiten um den Nachlass kann man vermeiden. Dafür gibt es Experten wie Nathalie Eher Wolfer. Sie hilft Kunden bei der richtigen Planung. Ihr Erfolgsgeheimnis ist eine Mischung aus Recht und Psychologie, vorausschauender Planung und guter Kommunikation.
WOMEN IN BUSINESS: Wie sind Sie zum Wealth Planning gekommen?
Nathalie Eser Wolfer: Schon während meines Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich hat mir das Thema Nachfolgeplanung gefallen. Dies ist ein sehr sensibles, persönliches Thema, und um es gut zu handhaben, muss man Menschen mögen. Sie müssen sich für sie interessieren, für ihr Leben, ihre Leistungen, ihre Familien, ihre Ängste, ihre Träume und ihre Pläne. Kurz nach dem Abschluss habe ich bei Julius Bär angefangen. Auch nach 18 Jahren fasziniert mich meine Arbeit jeden Tag aufs Neue.
Nachfolge und Vermögensplanung – was bedeutet das?
Zuallererst ein guter Zuhörer zu sein, denn es gibt keine Standardlösungen. Keine zwei Personen oder Paare haben das gleiche Vermögen, die gleiche familiäre Situation, das gleiche Leben. Ehepartner, Kinder, Verwandte und weitere Personen sind betroffen. Bei Patchwork-Familien – namentlich solchen mit nicht gemeinsamen Kindern – kann die Planung kompliziert werden. Je grösser und weiter verteilt das Vermögen und die Familienmitglieder sind, umso anspruchsvoller wird die Aufgabe. Ich muss dafür das Gesamtbild des Kunden verstehen: nicht nur die Zahlen, sondern auch seine Familie – und seine individuelle Situation kennen. Nachdem ich mir ein Gesamtbild verschafft habe, weiss ich, welche weiteren Experten innerhalb der Bank oder von unseren Geschäftspartnern mit einzubeziehen sind. Dann arbeiten wir mit dem Kunden und seiner Familie zusammen an der Entwicklung einer Lösung, die ihren Bedürfnissen optimal entspricht. Niemand denkt gern über den eigenen Tod nach; das ist ein sensibles Thema. Aber wir tun dies auf eine sanfte, strukturierte Art und Weise, die zu Antworten und Lösungen führt.
Was braucht es, um diese Aufgabe zu meistern?
Ich verlasse mich stark auf zwei Disziplinen: meinen juristischen Hintergrund und psychologisches Geschick. In meiner Arbeit ist Fingerspitzengefühl gefragt. Jede Familie hat ihre eigene Geschichte: Es gibt Stolpersteine, verletzte Gefühle und manchmal auch Intrigen. Diese treten häufig zutage, wenn Nachlässe geregelt oder Erbschaften geteilt werden. Manchmal hat jemand das Gefühl, dass er oder sie ungerecht behandelt oder überstimmt wird.
Was ist der häufigste Fehler bei der Nachlassplanung?
Nicht selten fokussiert man zu rasch auf die Lösungsfindung. Die Planung eines Nachlasses ist jedoch ein Prozess, bei dem verschiedene Aspekte zu beachten sind: etwa die Bedürfnisse der Betroffenen, das Vermögen, aber auch rechtliche und steuerliche Fragen. Befinden sich das gesamteVermögen sowie die beteiligten Parteien in der Schweiz und sind die Beziehungen intakt, braucht es etwa drei Monate, um mit den Kunden eine Lösung zu finden. Wenn die Dinge komplizierter sind, etwa, wenn sich sowohl das Vermögen als auch die Betroffenen auf verschiedene Länder und Gerichtsbarkeiten verteilen, kann der Prozess bis zu einem Jahr oder sogar länger dauern. Dies ist insbesondere bei komplexen Planungen der Fall, die Ehe- und Erbverträge, Testamente und Strukturen wie Stiftungen, Trusts oder Lebensversicherungen umfassen können.
Wie zahlt sich gute Beratung aus?
Ich hatte kürzlich mit einem älteren Paar zu tun. Das Ehepaar hatte den eigenen Ruhestand finanziell sehr gut abgesichert, deshalb wollten sie ihr Vermögen noch zu Lebzeiten weitergeben. Das ist schön, braucht aber Planung; insbesondere, wenn es darum geht, die Kinder gleich zu behandeln, um Streitigkeiten zu vermeiden. Wer bekommt das Feriendomizil? Wem steht das Elternhaus zu? Das sind emotionale Herausforderungen, zumal die einzelnen Besitztümer – im erwähnten Fall – nicht gleichwertig waren, sondern jeweils ein finanzieller Ausgleich geschaffen werden musste. Letztlich haben wir einen Weg gefunden, alles gerecht zu verteilen und zu entschädigen. Wir diskutierten und entwarfen Schenkungsverträge sowie einen Erbvertrag, welche schliesslich vor den jeweiligen Notaren unterzeichnet wurden. Jetzt sind Eltern und Kinder glücklich – alles ist entschieden, geplant und geregelt. Wir legen grossen Wert darauf, Vertrauen zu unseren Kunden und ihren Familien aufzubauen. Dies ist die Grundlage einer soliden Beziehung, die Generationen überdauern kann.
Wie hat die Digitalisierung Ihren Beruf verändert?
Einerseits stellen sich Fragen im Zusammenhang mit dem digitalen Nachlass; digitale Daten sind Teil des heutigen Lebens. Aufgrund der daraus resultierenden Spuren im Netz stellen sich zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit der Vererbung von Benutzerkonti, Zugangsdaten, Passwörtern. Es empfiehlt sich, nicht nur den materiellen, sondern auch den virtuellen Nachlass zu regeln. Andererseits vereinfacht die fortschreitende Digitalisierung den Beratungsprozess und die Erstellung von rechtlichen Dokumenten. Allerdings ist das persönliche Element in der Nachlassberatung zentral und kann meines Erachtens nicht durch ein Computerprogramm ersetzt werden.
Was gibt Ihnen das grösste Gefühl der Erfüllung?
Eine Lösung zu finden, die zu einer ganzen Familie passt. Obwohl eine Nachlassplanung nie abgeschlossen und eine stetige Überprüfung wichtig ist, sind meine Kunden dankbar, wenn der Prozess angestossen und der Nachlass zumindest für den Moment geregelt ist.